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Streif in Kitzbühel: über das gefährlichste Skirennen der Welt

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Kein Abfahrtsrennen zieht Fans wie Sportler derart in seinen Bann wie die legendäre Streif in Kitzbühel. Wer hier gewinnen will, muss volles Risiko gehen – und dafür auch das Karriereende in Kauf nehmen. Vom größten Spektakel im Skizirkus.

Aus der Traum vom Sieg in Kitzbühel: 2016 ging der Norweger Aksel Lund Svindal als Favorit in die Streif, doch sie warf ihn unterhalb der Hausbergkante ab. Die Folge: Kreuzband- und Meniskusriss im rechten Knie.

Sie gilt als die anspruchsvollste, gefährlichste und brutalste Abfahrt der Welt: die Streif in Kitzbühel. Kein anderes Ski-Event zieht Fans und Sportler gleichermaßen in seinen Bann wie die 3312 Meter lange Tortur für Knochen und Material im Nordosten Österreichs. Für die Zuschauer ist das erstmals 1937 ausgetragene Rennen vor allem ein Spektakel. Eines, das wegen seiner Gefahr, den unvermeidbaren Stürzen und natürlich auch seinen Helden und Verlierern längst Mythos ist.

Dass das berühmteste Skirennen der Welt in diesem Jahr wetterbedingt – es werden für Samstag starke Schneefälle in Tirol erwartet – schon am Freitag stattfindet, wird der Streif nichts an Faszination nehmen. So dürften es neben Hunderttausenden an den TV-Bildschirmen wieder rund 50.000 Zuschauer sein, darunter zahlreiche Prominente, die live vor Ort mitfiebern, wenn die besten Skifahrer der Welt mit bis zu 140 Stundenkilometern Richtung Ziel rasen.

Die Streif verzeiht keine Fehler

Für die Sportler selbst ist die Streif der sprichwörtliche Ritt auf der Rasierklinge. Schon der winzigste Fehler auf der komplett mit Kunstschnee verdichteten und entsprechend vereisten Piste kann das Saisonende bedeuten. Schlimmstenfalls gar eine über Jahre aufgebaute Karriere im Nu zerstören. Beispiele dafür gibt es zur Genüge. Zumal die Strecke den muskelbepackten Männern auf den schmalen Latten von Beginn an alles abverlangt – mental wie physisch. Schon der Starthang hat es in sich. Obwohl nur 160 Meter lang beschleunigen die Fahrer hier binnen wenigen Sekunden auf knapp 100 Stundenkilometer, ehe sie sich mit einem bis zu 80 Meter weiten Sprung in die mit 85 Prozent Gefälle gefühlt senkrechte “Mausefalle” stürzen. “So muss man sich fühlen, wenn man ohne Fallschirm aus dem Flugzeug springt”, sagte der fünffache Weltcup-Gesamtsieger und heutige Ex-Profi Marc Giradelli einst über die Streif. 

Publikumsmagnet: Die Streif lockt jedes Jahr bis zu 50.000 Menschen an die Strecke – darunter zahlreiche Promis aus aller Welt

Debütanten bekommen es angesichts betonharter Kurven und Kompressionen, den Steilhängen sowie Sprüngen im Höchsttempo auch mit der Angst zu tun. Er hätte bei seiner Premiere “das Starthaus am liebsten wieder nach hinten verlassen”, gab der Schweizer Didier Cuche einmal vor Reportern zu. “Aber ich wollte auch nicht derjenige sein, der mit der Gondel ins Tal fährt.” Heute ist Ski-Rentner Cuche mit fünf Siegen alleiniger Rekordchampion von Kitzbühel. Stephan Eberharter aus Österreich (Sieger 2002 und 2004) sprach gar von “Todesangst”, als er sich 1991 erstmals an das wichtigste Skirennen neben dem olympischen Abfahrtslauf wagte. 

Ohne Erfahrung geht in Kitzbühel nichts

Dass es im Fall Eberharters elf Jahre bis zum ersten Sieg dauerte, zeugt vom technischen Anspruch des oft als “Höllenritt” bezeichneten Events. “Für die Streif reichen 95 Prozent nicht aus. Du musst alles geben können, um sie zu fahren. Sonst wirft sie dich ab”, erklärte der Kanadier Erik Guay nach seinem zweiten Platz 2013. Wer in Kitzbühel gewinnen will, braucht neben sorgfältig abgewägter Risikobereitschaft also vor allem eines: Erfahrung. 

Gestürzte Fahrer werden meist per Helikopter in nahe gelegene Kliniken geflogen

Doch selbst die Besten ihres Fachs wie Aksel Lund Svindal, seines Zeichens Olympiasieger und zweifacher Abfahrts-Weltmeister, kommen auf der Streif an ihre Grenzen. 2016 ging der Norweger als einer der Favoriten ins Rennen, das für ihn letztlich im Krankenhaus endete. Nach dem Sprung über die “Hausbergkante”, eine der Schlüsselstellen, hatte es ihn regelrecht – und für die Zuschauer im Zielbereich gut sichtbar – von der Piste und mit voller Wucht in die Fangzäune katapultiert. Svindal konnte sich zwar selbst aufrappeln, seine Saison aber war gelaufen. Kreuzband- und Meniskusriss im rechten Knie, lautete die Diagnose. Weil nur kurz zuvor in Hannes Reichelt ein weiterer Topfahrer an der selben Stelle gestürzt war, brachen die Organisatoren die Veranstaltung damals ab.

Diskutierten Medien und Funktionäre in der Folge, ob die Streif – obgleich in 2016 schon leicht entschärft – in der Art noch vertretbar sei, verstand ausgerechnet Svindal die Aufregung nicht. “Das ist ziemlich ärgerlich mitten in der Saison, aber so ist das Leben. Es gibt Hochs und Tiefs und damit musst du einfach umgehen.”

Thomas Dreßen träumte schon als Kind vom Sieg

Svindals Worte zeigen, welchen Stellenwert das Rennen unter den Profis hat. Sie wissen um die Gefahr – und sie gehen sie bereitwillig ein, weil es keine vergleichbare Herausforderung im Skizirkus gibt. Wer die Streif gewinnt, hat es geschafft; genießt unter den Kollegen größtmöglichen Respekt. 

Zum erlesenen Kreis der Kitzbühel-Sieger gehört auch Thomas Dreßen. 39 Jahre nach dem letzten Erfolg eines Deutschen raste der Garmisch-Patenkirchener 2018 als Schnellster ins Ziel. Dass er nun eine Legende sei, davon will Dreßen jedoch nichts wissen. Die anderen Sieger hätten diesen Status für ihn, er aber sei keine Legende, sondern “immer noch der ganz normale Typ, der gern Ski fährt”, sagte Dreßen in einem Interview. “Für mich war es einfach ein Traum von klein auf, die Abfahrt in Kitzbühel zu gewinnen.” Auf seinen zweiten Sieg muss Dreßen mindestens ein weiteres Jahr warten. Im November stürzte er schwer und riss sich das Kreuzband. In Kitzbühel wird er am Freitag deshalb nur als Zuschauer dabei sein.

“Auf der Streif gewinnen immer die Besten”

Auch Svindal, der bei bislang zwölf Starts Platz zwei als bestes Ergebnis vorweist, wird sich in diesem Jahr nicht seinen Traum vom ersten Streif-Sieg erfüllen können. Noch immer leidet der 36-Jährige an den Folgen seines Sturzes in 2016. Ohne Schmerzmittel geht bei dem Norweger nichts mehr. Am Donnerstag verzichtete er aufs zweite Training, weil sein Knie zu sehr schmerzte. Für den Sieg kommen also andere in Frage. Zum Beispiel Olympiasieger Matthias Mayer aus Österreich (Bestzeit im ersten Training), dessen Landsmann Hannes Reichelt (Sieger 2014) oder der Südtiroler Dominik Paris (Sieger 2017). 

Durchsetzen wird sich letztlich derjenige, der sein Können mit der größten Portion Risiko kombiniert. Denn wie hat Svindal einmal gesagt: “Bei Olympia kann es auch einen Zufallssieger geben. Auf der Streif gewinnen immer die Besten.”

+++ Sie wollen sich einen eigenen Eindruck von der Streif machen? Für den Radiosender “Hitradio Ö3” stürtzte sich 2016 ein Profi mit 360-Grad-Kamera ausgestattet die Strecke hinab. Seinen “Höllenritt” können Sie im nachfolgenden Video aus Fahrersicht nacherleben. Tipp: Schauen Sie sich die Aufnahme auf dem Tablet oder Smartphone an. +++  

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