Wirtschaft

Urban Farming oder: Das Schwein im Hochhaus

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Gemüse aus der Fabrik, Fleisch aus dem Labor: Hightech und neues Denken revolutionieren die Landwirtschaft. Und könnte helfen, die Metropolen von morgen zu ernähren. Darüber debattiert der Global Food Summit.

Das Münchner Startup Agrilution denkt Urban Farming mal etwas anders. Kein Blumentopf auf dem Balkon. Das wäre Old School. Agrilution lässt Salat und Kräuter in einem zweifächrigem Würfel wachsen. Eine Mini-Vertikal-Farm für die gehobene Einbauküche. Temperatur, Bewässerung und Licht werden automatisch gesteuert. “Wir simulieren im Plantcube das ganze Jahr den perfekten Frühling”, so Mitgründer Patrick Proppe. Nach sieben bis 32 Tagen kann das Grünzeug geerntet werden. Frischer und näher am Verbraucher geht nicht. Der Plantcube ist zwar nur ein Gimmick. Doch Stephan Becker-Sonnenschein, Initiator des Global Food Summits in München, hat Freude daran. Disruptive Landwirtschaft ist eines seiner Lieblingsworte. Die Landwirtschaft völlig neu denken. Weg vom Acker, weg vom Land, weg vom Tier.

Die Natur besser verstehen

Hat die Erde also ausgedient? “Ganz im Gegenteil”, so Becker-Sonnenschein, “die Erde ist voller Wunder. Die Frage ist, sind wir bereit, die Wissenschaftlichkeit der Natur zu nutzen?” Gemeint ist Life Science. Wissenschaftler sind immer besser in der Lage, zum Beispiel Stoffwechselabläufe zu verstehen. Und diese nachzubauen.

“Ich bin mal kurz im Garten….” Der Plantcube in der Einbauküche.

Der Niederländer Peter Verstrate ist einer von ihnen. Sein Unternehmen Mosa Meat züchtet Rindfleisch im Labor. Genauer gesagt: Fasern. 2013 wurde in London öffentlichkeitswirksam die erste Boulette aus der Petrischale serviert. Für das Patty wurden einem Rind Stammzellen entnommen und in einer Nährlösung zu Muskelfasern gezüchtet. Google-Gründer Sergey Brin unterstützte die Idee damals mit 250.000 Euro. Und wie weit ist man heute damit, gut fünf Jahre später? “So schnell geht´s nicht”, sagt Verstrate bei einer Sahneschnitte am Rande des Summits. Frühestens in fünf Jahren denkt er an marktfähige Produkte.

Fleisch ohne Tier

Noch ist Forschung angesagt. Das mit dem Fett klappt noch nicht so richtig. Auch an der Farbe und der Textur wird gebastelt. Doch das Interesse ist riesig. Gerade erst hat Mosa Meat 7,5 Millionen Euro eingesammelt. Die Hauptgeldgeber waren große Unternehmen. Der deutsche Pharma- und Chemiekonzern Merck beispielsweise, und der Fleischverarbeiter Bell Food aus der Schweiz. Ein Patty für neun Euro ist das mittelfristige Ziel. Rund 30 Unternehmen weltweit liefern sich derzeit das Rennen um Fleisch ohne Tier. Sie kommen aus den USA, Israel, Asien. Am künstlichen Fisch ist man auch schon dran.

Und wozu das alles?  “Am Besten wäre es natürlich, man würde einfach weniger Fleisch essen”, räumt Verstrates ein. “Doch ich rechne nicht damit.”

Landwirtschaft ernährt die Welt. Doch sie bedroht sie auch. Biodiversität, Wasserverbrauch, Pestizide sind nur ein paar Stichworte. Besonders umweltschädlich wird es, wenn lange Transportwege dazu kommen. Wenn Tierfutter aus Südamerika nach Europa gekarrt wird. Oder auch Lebensmittel vom Land in die Stadt.

Im Jahr 2050 werden laut UN-Prognose neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, die meisten in der Stadt. 80 Prozent der benötigten Lebensmittel werden dann in Mega-Cities konsumiert. Kann, und vor allem soll man die alle vom Land aus versorgen? Mit all den Risiken und Verlusten, die lange Logistikketten mit sich bringen?

Urban Skyfarm: Ein Projekt für die südkoereanische Hauptstadt Seoul

Das Frauenhofer Institut hat 2018 eine interessante Studie publiziert. 3,6 Quadratmeter reichen aus, um einen Stadtbewohner zu versorgen. Voraussetzung sind innovative Anbaumethoden wie Aquaponic, die Zucht von Fischen in geschlossenen Systemen. Oder Vertical Farming. Wie im kleinen Plantcube des Münchner Startups kann Blattgemüse auch im großen Stil auf mehreren Ebenen gezogen werden. Unter völlig künstlichen, aber optimierten Bedingungen. Unabhängig vom Boden. Unabhängig vom Klima. Dort, wo die Lebensmittel gebraucht werden. Indoor Farming braucht zwar viel Energie. Doch bis zu 90 Prozent weniger Wasser, weniger Dünger, keine Pestizide.

Schweine im Hochhaus

“In China ist Urban Farming ein sehr großes Thema”, sagt Prof. Nannan Dong von der Tongji Universität in Shanghai. “Nicht nur in den Innenstädten. Vor allem die ausufernden Vorstädte sollen befähigt werden, einen Teil zu ihrer Ernährung beizutragen. Privatfirmen nutzen leer stehende Gebäude, um dort Indoor-Landwirtschaft zu betreiben”, erzählt der Stadtplaner. Und wenn es darum geht, neue Siedlungen zu entwerfen, würden High-Tech Gewächshäuser oft integriert. Auch Schweine werden auf mehreren Etagen in Hochhäusern gehalten. Doch Tierzucht ist eher ein Thema für den Stadtrand. “Für das Recyclig der Gülle haben wir noch keine Lösung gefunden.”

Der Wüstenstaat Dubai hat die Vorteile der standortunabhängigen Landwirtschaft ebenfallst erkannt. “Wir sind heute komplett abhängig von Nahrungsmittelimporten”, berichtet die Ministerin für Nahrungsmittelsicherheit, Mariam Al Mehairi. “Als Indien wegen Knappheit seine Reisexporte eingestellt hat, war das für uns ein Schock.” Seitdem baut Dubai in großem Stil seine eigene Produktion auf. Tomatengewächshäuser mitten in der Wüste.

“Braucht vier Liter Wasser für ein Kilogramm statt 200 Liter im Freiland”, schwärmt die Ministerin. Der Strom für die Kühlung kommt von Solaranlagen auf dem Dach. Auch Fische wachsen in geschlossenen Kreislaufsystemen. 240 Millionen Euro hat Dubai jetzt bereitgestellt, um Innovationen in der Landwirtschaft zu fördern.

Nicht alles kann man durch neues Denken lösen, meint Summit-Initiator Becker-Sonnenschein. Aber vieles anstoßen. Weizen, Mais, Reis, Soja – das alles kann nur auf echten Feldern wachsen. Wie man aus pflanzlichen Proteinen im Anschluss aber zum Beispiel Fleisch nachbauen kann, dazu braucht es dann die neue, zündende Ideen.

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