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May will Lösung mit Opposition und neuen Brexit-Aufschub

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Paukenschlag in London: Premierministerin May will eine weitere Verlängerung der Brexit-Frist. Gleichzeitig streckt sie die Hand in Richtung Opposition aus, um einen Kompromiss zu finden.

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London/Brüssel/Paris (dpa) – Die britische Premierministerin Theresa May will bei der EU noch einmal einen kurzen Aufschub des Brexits beantragen. Das kündigte May am Dienstag nach einer siebenstündigen Krisensitzung ihres Kabinetts in London an.

May will sich gemeinsam mit Labour-Chef Jeremy Corbyn um eine Lösung und eine überparteiliche Mehrheit im Parlament für das Austrittsabkommen bemühen, das schon drei Mal abgelehnt wurde. Corbyn nahm das Angebot an und versicherte, er werde offen in das Gespräch mit der Regierungschefin gehen.

Nach derzeitiger Planung soll Großbritannien die EU am 12. April verlassen. Sollte bis dahin weder der Austrittsvertrag noch eine Alternative beschlossen sein,
droht ein ungeordneter Austritt mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche. Das Parlament hat sich bislang sowohl gegen
das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen ausgesprochen als auch gegen einen No-Deal-Brexit. Alle anderen Alternativen wurden aber auch abgelehnt.

May sagte: «Diese Debatte, diese Spaltung kann nicht mehr lange weitergehen. Sie setzt Abgeordnete und alle anderen unter immensen Druck – und schadet unserer Politik.» Dem Austritt ohne Abkommen erteilte sie eine Absage. «Ich habe schon immer klargemacht, dass wir auf lange Sicht einen Erfolg aus einem No-Deal machen könnten. Aber mit einem Abkommen auszuscheiden, ist die beste Lösung», sagte die Regierungschefin. Sie wolle nun mit Corbyn die Chance für einen mehrheitsfähigen Kompromiss ausloten.

Der Schritt markiert eine dramatische Wende in Mays Brexit-Kurs. Bislang lehnte sie Zugeständnisse an die Opposition kategorisch ab. Die oppositionelle Labour-Partei fordert eine engere Anbindung an die EU nach dem Brexit als bisher von London geplant. Unter anderem soll das Land nach dem Willen Corbyns in einer Zollunion mit der EU bleiben und eine enge Anbindung an den Binnenmarkt suchen.

Die erneute Fristverlängerung soll nach dem Willen Mays nicht über den 22. Mai hinausgehen, damit Großbritannien nicht
an der Europawahl teilnehmen muss, die tags darauf beginnt. May machte deutlich, dass es bei den Beratungen mit der Opposition nicht um den Austrittsvertrag gehen soll, sondern um die Politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen. Sollten die Gespräche mit Corbyn kein Ergebnis bringen, will May das Parlament über Alternativen abstimmen lassen. Die Regierung werde sich danach richten, fügte May hinzu.

Corbyn betonte, er treffe sich sehr gerne mit May. «Wir erkennen an, dass sie sich bewegt hat», fügte er der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge hinzu. Das Wichtigste sei, dass ein Austritt ohne Abkommen verhindert werde. In einem BBC-Interview legte Corbyn seine Forderungen an May dar. Er werde sich für eine Mitgliedschaft des Landes in der Zollunion, Zugang zum Binnenmarkt und den Schutz von Verbraucher- und Umweltstandards sowie Arbeitnehmerrechten einsetzten. Auch das Karfreitagsabkommen über den Frieden in Nordirland müsse unter allen Umständen eingehalten werden.

Heftige Kritik kam von Brexit-Hardlinern aus Mays Konservativer Partei wie Ex-Außenminister Boris Johnson und dem einflussreichen Abgeordneten Jacob Rees-Mogg. «Ich kann unter keinen Umständen für ein Abkommen stimmen, das eine Zollunion beinhaltet», twitterte Johnson. Rees-Mogg warf May vor, mit einem Marxisten gemeinsame Sache zu machen und sagte ihr Stimmenverluste in den eigenen Reihen voraus.

Offen ist, ob sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs auf eine Brexit-Fristverlängerung, wie von May vorgeschlagen, einlassen werden. EU-Ratschef Donald Tusk hat für den 10. April einen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs einberufen. Dann will May das Ergebnis der Gespräche mit Corbyn vorlegen.

Tusk appellierte an die 27 bleibenden EU-Länder, weiter Geduld zu zeigen. «Selbst wenn wir nach dem heutigen Tag noch nicht wissen, was das Ergebnis sein wird, lasst uns geduldig sein», twitterte Tusk am Abend. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will nach Angaben eines Sprechers am Mittwochnachmittag in einer Debatte des Europaparlaments zu dem neuen Vorschlag aus London Stellung nehmen.

Ein EU-Diplomat sagte, bisher hätten weder die Unterhaus-Abstimmungen noch Mays Rede Klarheit gebracht. Es lägen weiter alle Optionen auf dem Tisch: die Ratifizierung des Vertrags, ein Brexit ohne Abkommen, eine lange Verschiebung oder ein Rückzug des Austrittsantrags durch London.

Der irische Regierungschef Leo Varadkar betonte, dass es nicht zu spät für May sei, Vorschläge zu machen – diese müssten jedoch glaubwürdig und zielführend sein. «Aber ich denke, wir müssen offen sein, für alle Vorschläge, die sie uns macht», sagte er nach einem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron in Paris. Der Austrittsvertrag sei nicht verhandelbar, betonte er. Darin sind auf knapp 600 Seiten alle Trennungsfragen geregelt – darunter auch die Garantie einer offenen Grenze zwischen Irland und Nordirland. Anders sehe es bei der Politischen Erklärung aus, welche die künftige Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien regelt.

EU-Unterhändler Michel Barnier hatte vorige Woche signalisiert, dass die EU die Politische Erklärung zum Brexit-Vertrag binnen 48 Stunden nachbessern könnte, wenn sich die britischen Abgeordneten für eine engere Bindung an die Staatengemeinschaft entscheiden sollten.

Die Bundesregierung und viele andere EU-Partner wollen einen No-Deal-Brexit unbedingt vermeiden – das machte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) noch einmal klar. «Die EU und Großbritannien können und müssen den großen Crash auf den letzten Metern verhindern, denn es stehen Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel», sagte Altmaier der «Bild»-Zeitung. «Notfalls durch eine ausreichende Verlängerung der Austrittsfrist.»

Im Unterhaus will eine überparteiliche Gruppe um die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper einen Brexit ohne Vertrag per Gesetz verhindern. «Wir sind in einer gefährlichen Situation», twitterte Cooper. Ob dieser Plan nun weiterverfolgt wird, war zunächst unklar.

Londoner Premiers haben über Jahrzehnte die komplizierte Beziehung der Briten zu Europa geprägt.

EDWARD HEATH: Dem konservativen Regierungschef oblag es 1972, die Beitrittsverträge zu unterzeichnen. Jahrzehntelang hatten die Parteien im Königreich über eine Mitgliedschaft in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gestritten – die Zustimmung des Parlaments erfolgte erst nach einer sechs Tage währenden erbitterten Debatte in Westminster.

HAROLD WILSON: Die Labour-Partei zog 1974 mit dem Versprechen in den Wahlkampf, den Beitritt neu zu verhandeln. Der neue Premier Wilson erreichte aber nur geringe Zugeständnisse in Brüssel. Am 5. Juni 1975 stimmten die Briten in einer Volksabstimmung über die Mitgliedschaft ab – und bestätigten sie mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit.

MARGRET THATCHER: Die als «Eiserne Lady» bekannte konservative Politikerin ging spätestens 1984 in die europäische Geschichte ein. Beim Gipfel in Fontainebleau setzte sie mit der ultimativen Forderung «We want our money back» einen Rabatt bei den Zahlungen der Briten in die Gemeinschaftskasse durch.

JOHN MAJOR: Gegen Rebellen in der eigenen konservativen Partei setzte der Regierungschef 1993 im Parlament mit einem Vertrauensvotum die Ratifizierung des Maastricht-Vertrags mit den europäischen Partnern durch. In Verhandlungen in Brüssel hatte er erreicht, dass sich London weder an die Sozialbestimmungen des Vertrags halten noch an einer Gemeinschaftswährung teilnehmen musste.

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