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May will Brexit-Abkommen wieder aufschnüren

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London (dpa) – Zwei Monate vor dem Brexit will die britische Premierministerin Theresa May das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen wieder aufschnüren. May warb für ein Mandat der Abgeordneten, die schwierige Nordirland-Frage nachzuverhandeln.

«Die Welt weiß, was dieses Haus nicht will. Heute müssen wir eine nachdrückliche Botschaft dazu senden, was wir wollen», sagte May bei einer Brexit-Debatte im Parlament in London. «Ich will mit dem klarestmöglichen Mandat nach Brüssel zurückkehren.» Bislang hat sich Brüssel strikt geweigert, das Abkommen wieder aufzumachen.

Nach der Ablehnung des Brexit-Deals bei der Abstimmung Mitte Januar müssten nun die Bedenken der Abgeordneten zum Nordirland-Backstop berücksichtigt werden, sagte May. Dazu sei «eine bedeutungsvolle und rechtlich bindende Veränderung am Austrittsabkommen» notwendig. Der Backstop ist eine Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Kritiker fürchten, dass Großbritannien dadurch dauerhaft eng an die EU gebunden bleibt.

Britische Kommentatoren sprachen von einer «Kehrtwende» Mays. Nachverhandlungen hatte sie aber bereits zuvor vage angekündigt.

May will den Abgeordneten schnellstmöglich einen geänderten Austrittsvertrag zur Abstimmung vorlegen. Sollte sie keinen Erfolg bei Nachverhandlungen mit der Europäischen Union zum Brexit haben, werde sie spätestens am 13. Februar vor dem Unterhaus eine Erklärung abgeben. Für den Tag darauf – also am 14. Februar -, plane May eine Abstimmung zu ihrer Erklärung, teilte Downing Street mit.

Die Premierministerin sagte, es gebe im Parlament keine Mehrheit für eine Neuwahl oder eine zweite Volksabstimmung über den EU-Austritt des Landes. Zur deutlichen Niederlage im Parlament für das Austrittsabkommen, das sie mit der Europäischen Union ausgehandelt hatte, sagte May, sie habe diese Botschaft verstanden.

Die Abgeordneten sollten noch am Abend (ab ca. 20 Uhr MEZ) über mehrere Vorschläge abstimmen, wie es mit der geplanten Trennung von der Europäischen Union weitergehen soll. Parlamentspräsident John Bercow, dem zuvor eine zu EU-freundliche Haltung bei Entscheidungen vorgeworfen worden war, wählte 7 von 15 Änderungsanträgen aus. Bei der Selektion der Anträge sei ihm dieses Mal keine Parteilichkeit vorzuwerfen – für jeden im zerstrittenen Parlament sei im Prinzip etwas dabei, hieß es in einer Analyse des Senders Sky News.

May stellte sich etwa hinter einen Änderungsvertrag, der vorsieht, den Backstop zu entfernen. Tory-Politiker Dominic Grieve will mit einem anderen Antrag durchsetzen, dass die Parlamentarier an sechs Tagen über eigene Vorschläge zur Zukunft ihres Landes debattieren und abstimmen dürfen. Damit will er die Macht des Parlaments erweitern.

Bercow ließ auch einen Änderungsantrag der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper zur Abstimmung zu, dem gute Erfolgschancen eingeräumt werden. Ihr Vorschlag sieht vor, die Regierung zum Beantragen einer Fristverlängerung zu verpflichten, sollte bis Ende Februar kein Brexit-Abkommen ratifiziert sein. Das Ziel: Alle Seiten hätten dann mehr Zeit für eine Einigung.

Hoffnung, dass sich doch noch eine Mehrheit im heillos zerstrittenen Unterhaus findet, machten Berichte über einen «Plan C» für den EU-Austritt, den konservative Abgeordnete aus beiden Lagern in den vergangenen Tagen ausgearbeitet hatten. Der «Malthouse-Plan» greift die Idee wieder auf, dass notwendige Grenzkontrollen an der nordirisch-irischen Grenze mit technologischen Mitteln durchgeführt werden sollen. Wie diese aussehen, konnte noch niemand erklären. Für den Fall eines «No Deal» sieht der Plan vor, dass sich Großbritannien mit Beitragszahlungen an die EU eine Übergangsfrist erkauft.

Die EU besteht auf der Backstop-Klausel, weil eine Teilung der irischen Insel ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion provozieren könnte. Doch ein großer Teil der Abgeordneten in Mays Konservativer Partei und die nordirisch-protestantische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, lehnen die Regelung ab.

Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist, außerdem sollen in Nordirland weiter einige Binnenmarktregeln gelten. Kritiker fürchten, diese Klausel könne Großbritannien dauerhaft an die Europäische Union binden. Die DUP lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab. Alle EU-Institutionen haben bislang betont, dass das Austrittsabkommen nicht nachverhandelt werden kann – vor allem nicht der Backstop. Die Brexit-Fachleute im EU-Parlament schlossen zuletzt aus, ein Abkommen ohne «wetterfesten Backstop» zu ratifizieren.

Die EU-Kommission schwieg sich zunächst zu den diversen Lösungsansätzen im Unterhaus am Dienstag aus. «Dies ist kein Brüssel-Tag, es ist ein London-Tag, und dann sehen wir weiter», sagte Sprecher Margaritis Schinas. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei in ständigem Kontakt mit London und stehe auch ständig bereit für Gespräche. Zum «Malthouse-Plan» sagte Schinas: «Wir haben nichts bekommen, es ist nichts auf dem Tisch.»

Die mit Großbritannien vereinbarte Übergangsphase bis mindestens Ende 2020 sei mit dem Austrittsabkommen verknüpft, bekräftigte Schinas. In der geplanten Übergangszeit nach dem für den 29. März angekündigten britischen EU-Austritt soll sich für Bürger und Unternehmen zunächst nichts ändern. Damit sollen wirtschaftliche Turbulenzen kurz nach dem Brexit vermieden werden.

Auch die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, schließt Nachverhandlungen zum Brexit-Vertrag weiterhin aus. Als Begründung sagte sie am Dienstag dem SWR: «Weil die EU an den wichtigen Punkten nicht mehr Großbritannien entgegenkommen kann.» Sie bezog sich damit ausdrücklich auf den Backstop.

Wenn man die Regelung befriste, gebe es am Ende möglicherweise eben doch eine harte Grenze, die «auf keinen Fall» akzeptiert werden könne, sagte die Bundesjustizministerin. «Wir haben schon die erste Autobombe gesehen, die hochgegangen ist.»

In dem Bürgerkrieg in Nordirland kämpften pro-irische Katholiken unter Führung der Untergrundorganisation IRA gegen protestantische, pro-britische Loyalisten. Im Kern ging es darum, ob der zu Großbritannien gehörende Nordteil Irlands mit der Republik im Süden vereinigt werden soll. In dem drei Jahrzehnte dauernden Konflikt, der 1998 mit dem Karfreitagsabkommen beendet wurde, starben mehr als 3600 Menschen. Mehr als 500.000 gelten in der Region als traumatisiert.

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