Wissen und Technik

Zwischen Wursthysterie und Naivität

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Krebs gehört zu uns – und macht Angst. Gerade deshalb ist Skepsis angebracht, wenn es um den Nutzen der neuesten Medikamente, Ernährungstipps oder andere Ratschläge geht. Ein Kommentar.

Wurstalarm. Die WHO warnte, dass Wurst das Risiko für Darmkrebs erhöht – und löste damit Chaos aus.

Jeder Zweite muss damit rechnen, im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken. Dieser Satz aus dem letzten Bericht „Krebs in Deutschland“ des Robert-Koch-Instituts klingt schockierend. Niemand möchte sich vorstellen, dass irgendwo in seinem Körper unbemerkt Krebszellen wuchern könnten. Dennoch wird es in jedem Jahr für etwa 500 000 Menschen Gewissheit.

Wir stellen uns Krebs als Geißel unserer Zeit vor. Das ist falsch. Bereits 500 vor Christus schnitt ein Sklave der persischen Königin Atossa einen blutenden Knoten aus ihrer Brust. Krebs gehörte immer zu uns. Er wird heute nur sichtbarer, weil wir andere Krankheiten heilen können. Die Menschen werden älter und damit steigt für sie die Wahrscheinlichkeit, irgendwann an Krebs zu erkranken.

Es gibt auch nicht den einen Krebs. Hinter dem Sammelbegriff verbergen sich hunderte Krankheiten. So schreibt der Onkologe Siddhartha Mukherjee in seinem Buch über den „König aller Krankheiten“ in Anlehnung an den ersten Satz aus „Anna Karenina“: „Normale Zellen sind einander ähnlich; aber jede bösartige Zelle wird unglücklicherweise bösartig auf ihre eigene Art.“ Die Organe, in denen die Tumoren entstehen, reichen daher nicht für die Klassifikation. Längst gehen Forscher dazu über, zusätzlich nach molekularen Signaturen zu suchen.

Krebs ist nicht gleich Krebs

Trotz dieser Komplexität gibt es Fortschritte. Ärzte können heute die allermeisten Patienten mit Hodentumoren, Lymphomen und akuten Leukämien heilen. Andere leben lange mit ihrem Krebs, für sie ist Krebs eine chronische Krankheit wie andere auch. Bei älteren Menschen kann es angemessener sein, den Krebs zu beobachten, statt ihn zu bekämpfen und so Schaden anzurichten. Dagegen haben andere Krebsarten kaum etwas von ihrem Schrecken eingebüßt: Bauchspeicheldrüsen-, Lungen- und Speiseröhrenkrebs etwa.

Die Windungen der Krebsforschung ergeben eine Geschichte von Hoffnung und Hybris, von Sackgassen und Irrtümern, von Grabenkämpfen und Durchbrüchen. Bei jeder neuen Studie ist Skepsis geboten.

Doch Krebs macht Angst, entsprechend emotional ist unser Umgang damit. In diese Gemengelage platzt eine Risikokommunikation, die Experten nur den Kopf schütteln lässt. Sie befähigt nicht zur rationalen Analyse, sondern verleitet zu Alarmismus. Oder sie weckt Hoffnungen, die nicht erfüllt werden können. „Es ist unethisch“, sagt Gerd Gigerenzer vom Max- Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. „Und es sind immer die gleichen Tricks.“

Griffe in die Wunderkiste der Statistik

1. Statt dem absoluten wird das relative Risiko genannt, schließlich klingt das viel beeindruckender. Ein Beispiel lieferte in der letzten Woche die WHO. Wer jeden Tag Wurst esse, erhöhe je 50 Gramm sein Darmkrebsrisiko um 18 Prozent, verkündete sie in einer Pressemitteilung. Sie verschwieg dabei, worauf sich die Steigerung bezieht: Das Lebenszeitrisiko, an Darmkrebs zu erkranken, beträgt etwa fünf Prozent. Mit Wurst und Schinken werden daraus sechs Prozent. Dieser Griff in die Statistik-Wunderkiste ist nicht weniger irreführend, wenn damit der Nutzen von Medikamenten oder von Screeningprogrammen beschönigt wird.

2. Doppelzüngigkeit. In jeder dritten medizinischen Studie werde relatives und absolutes Risiko vermengt, sagt Gigerenzer. Einer von 100 Patienten erleide eine bestimmte Nebenwirkung, heißt es dann ganz klar. Aber: Dank des Medikaments sinke das Sterberisiko um 50 Prozent.

3. Nur der Nutzen wird genannt, nicht aber der Schaden. Die Liste lässt sich fortsetzen. Forscher wie Gigerenzer werden nicht müde, auf die Fallen hinzuweisen. Er wünscht sich „risikokompetente Bürger“. Und das nicht nur, wenn es um Krebs geht.

Die beste Krebsprävention bleibt: nicht rauchen

Was ist nun die Lehre aus der Wursthysterie, die viele verunsicherte? Entwarnung? Nein. Maß zu halten, ist auf jeden Fall sinnvoll. Doch wer denkt, er könne mit irgendwelchen Diäten dem Krebs entkommen, der irrt. Prävention stößt bei diesem Gegner an ihre Grenzen. Am meisten hilft es immer noch, das Rauchen aufzugeben oder gar nicht erst damit anzufangen. Alkohol, Übergewicht und mangelnde Bewegung sind weitere Risikofaktoren.

Wem Darmkrebs Angst macht, der hat noch eine andere Möglichkeit: Er sollte sich überwinden und zur Darmspiegelung gehen. Denn diese Früherkennung rettet wirklich Leben.

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