Wissen und Technik

Wann erschaffen Wissenschaftler den Homunkulus?

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Bald wird es ihn wohl geben, den synthetischen menschlichen Embryo. Jetzt rufen Forscher zur ethischen Debatte auf.

Aus Stammzellen können Forscher frühe Stadien von Embryonen züchten, die sich fast schon wie natürliche Embryonen entwickeln. Was…

Nun läßt sich wirklich hoffen, / daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen / durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an – / Den Menschenstoff gemächlich komponieren, / in einen Kolben verlutieren /und ihn gehörig kohobieren, / so ist das Werk im stillen abgetan. / Es wird! die Masse regt sich klarer! / Die Überzeugung wahrer, wahrer: / Was man an der Natur Geheimnisvolles pries, / Das wagen wir verständig zu probieren, / Und was sie sonst organisieren ließ, / Das lassen wir kristallisieren.

In den 1820ern, als Goethe seinen Faust II schrieb, war es noch die Chemie, mit deren Hilfe sich der Mensch in der Fantasie des Dichters ein Abbild seiner selbst schuf, den Homunkulus. Doch nun sieht es so aus, als werden Biologen diejenigen sein, die im Labor einen künstlichen aber kompletten menschlichen Embryo verlutieren, kohobieren und komponieren.

Die Zucht des Homunkulus steht offenbar so unmittelbar bevor, dass jetzt eine Gruppe von Experten Forschungsförderungsorganisationen und die wissenschaftlichen und medizinischen Gesellschaften in einem Kommentar-Artikel im Fachblatt “Nature” drängt, eine “internationale Diskussion” über diese Forschungen anzustoßen. Es brauche sowohl Richtlinien für die Forscher als auch eine “glaubwürdige Quelle für Informationen” über den jetzigen Stand der Forschung und künftige Entwicklungen.

Bisher sterben die Gebilde meist nach einigen Tagen ab

Wichtig festzuhalten ist: Noch gibt es den Homunkulus nicht. Noch hat kein Forscher aus den diversen Geweben und organartigen Gebilden, die sich mit Hilfe von Wachstumsfaktoren und anderen Tricks der Gewebezucht mittlerweile züchten lassen, etwas geschaffen, das in der Lage wäre, sich in einer Gebärmutter einzunisten und zu einem ganzen Menschen heranzuwachsen. Bislang kommen die Experimente – mit Maus-Zellen ebenso wie mit menschlichen – über bestimmte Entwicklungsschwellen nicht hinweg und sterben nach einigen Tagen ab.

So können Stammzellen von Mäusen im Labor dreidimensionale Strukturen bilden, die einem 3,5 Tage alten Mausembryo kurz vor der Einnistung in die Gebärmutter verblüffend ähnlich sind (siehe Bild). Diese “Blastoide” enthalten die drei Ur-Gewebetypen (Keimblätter), aus denen sich der Mausembryo und die Versorgungsgewebe, etwa die Plazenta, bilden. Manche Blastoide können sich, in die Gebärmutter einer Maus übertragen, sogar einnisten. Kurz darauf bricht die Entwicklung aber ab. Zur “Gastrulation”, der Weiterentwicklung der drei ursprünglichen Gewebe in den für Säugetiere typischen Körperbau, kommt es nicht. Allerdings können Forscher zumindest Teile von Maus-Blastoiden soweit auswachsen lassen, dass sie einzelnen Strukturen von 6,5- bis 8 Tage alten Mausembryonen ähneln, genannt “Gastruloide”.

Sie könnten die Behandlung von Unfruchtbarkeit verbessern

Mit Stammzellen des Menschen kommen die Gewebezüchter noch nicht so weit. Doch die Entwicklung gehe “in die gleiche Richtung”, schreiben Nicolas Revron von der Universität Maastricht und Martin Pera vom Jackson Laboratory in Bar Harbor in Maine, stellvertretend für elf weitere Experten. Es sei sogar “wahrscheinlich”, dass die Hindernisse künftig überwunden werden können.

Hintergrund der Forschung ist, dass Biologen zu wenig über die frühe embryonale Entwicklung des Menschen wissen. Zwar wird schon lange an und mit Mausembryonen geforscht. Doch auch wenn viele Entwicklungsschritte beim Nager ähnlich ablaufen, wären Modellsysteme, mit denen die menschliche Embryonalentwicklung selbst untersucht werden kann, aus vielerlei Gründen hilfreich. So ließe sich besser verstehen, wie die Gastrulation beim Menschen abläuft und unter welchen Voraussetzungen sich Embryos in der Gebärmutter einsetzen.

Die Hoffnung ist, dass sich dadurch die Behandlung von Unfruchtbarkeit verbessern könnte, denn viele Schwangerschaften scheitern zum Zeitpunkt der Einnistung. Umgekehrt könnte das Wissen genutzt werden, um Verhütungsmittel zu entwickeln, die eine Einnistung gezielt verhindern.

Ebenso könnte die künstliche Befruchtung optimiert werden, wenn Embryonen für die dafür nötigen Experimente zur Verfügung stünden. Auch die Ursachen bestimmter Entwicklungsstörungen ließe sich mit Hilfe von Embryo-Modellen besser verstehen, so dass während und nach der Schwangerschaft gezielter behandelt werden könne. Rivron und Pera argumentieren außerdem, dass Forschung an Organoiden, aus Stammzellen hervorgegangenen Miniatur-Modellen menschlicher Organe, zwar hilfreich sei. Doch diese Gewebe zeigen womöglich nicht die natürlichen Reaktionen von Organen, da sie nicht in den kompletten Körper eingebunden sind.

Wie lange ließe man einen solchen Embryo heranwachsen?

Es sind solche Anwendungsoptionen, die die Entwicklung eines Homunkulus, vorantreiben werden, der “synthetischen, menschlichen Entität mit embryoartigen Eigenschaften” (synthetic human entities with embryo-like features, Sheef). Deshalb müsse über vier Fragen diskutiert werden, so die Forscher: Sollten Embryo-Modelle rechtlich und ethisch wie menschliche Embryonen behandelt werden? Welche Forschungsanwendungen mit menschlichen Embryo-Modellen wären ethisch akzeptabel? Bis zu welchem Entwicklungszeitpunkt sollten menschliche Embryo-Modelle heranwachsen dürfen? Und hat ein künstlich hergestellter Teil eines menschlichen Embryos den gleichen ethischen und rechtlichen Status wie ein kompletter Embryo?

Wie auch immer diese komplexen Fragen zu beantworten sind – angesichts der “Geschwindigkeit des Fortschritts” geben die Forscher schon jetzt Empfehlungen: So solle etwa die Intention der Forschung, bei der die Embryo-Modelle hergestellt werden, als das “entscheidende ethische Kriterium” für die Regulierung berücksichtigt werden. Außerdem drängen die Forscher darauf, die Übertragung künstlich hergestellter Embryonen in eine Gebärmutter zum Zwecke der Fortpflanzung kategorisch zu verbieten.

Der rechtliche Status ist ungeklärt

Ob das deutsche Embryonenschutzgesetz solche Embryo-Modelle ohnehin schon erfasst, ist fraglich. “Es besteht erhebliche Rechtsunsicherheit”, sagt Jochen Taupitz, Experte für Medizinrecht an der Universität Mannheim. Von den geltenden Rechtregeln seien künstliche Ei- und Samenzellen, Embryo-Modelle oder künstliche Entwicklungsbedingungen für Schwangerschaften kaum erfasst, auch nicht vom 30 Jahre alten Embryonenschutzgesetz.

Ob es die Erzeugung oder Verwendung von Embryo-Modellen verbietet, hänge von ihrer Entwicklungsfähigkeit ab. Nach der Auffassung der meisten Juristen seien sie als “geschützte Embryonen” aufzufassen, wenn sie fähig zur Einnistung sind, einige halten die Entwicklungsfähigkeit außerhalb der Gebärmutter für entscheidend, so Taupitz: “Auf die Frage, ob sie natürlich oder künstlich entstanden sind, kommt es dagegen nicht an.”

Auch aus ethischer Sicht sei eine Debatte “dringend erforderlich”, sagt Alena Buyx, Medizinethikerin an der Technischen Universität München. “Es geht um nichts weniger als die fundamentalen Eigenschaften des Menschenseins, über die hier gesprochen werden muss.” (mit smc)

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