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Ungewisse Zukunft für Ungarns beste Uni

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Die national-konservative Regierung setzt die Central European University (CEU) weiter unter Druck. Kurz vor Semesterstart wird der Teilumzug nach Wien geplant.

Ihr Abschluss. Absolventinnen feierten zuletzt im Juni dieses Jahr ihre „Graduation“. Ob die renommierte amerikanisch-ungarische…

Drückende Sommerhitze im Zentrum von Budapest. Eine Abkühlung verheißt das Foyer des Neubaus der Central European University (CEU), der sich elegant in den Altbaukomplex der CEU einreiht. Doch etwas irritiert hier: In den Fenstern hängen Protestplakate mit der Aufschrift „I stand with CEU“. Das Bekenntnis stammt aus der Zeit vor eineinhalb Jahren, als die amerikanisch-ungarische Universität massiv unter den Druck der Orbán-Regierung geriet. Die Gefahr, dass die CEU aus Ungarn vertrieben wird, ist keineswegs gebannt. Im Gegenteil: 14 Tage vor dem Semesterstart im September ist die Lage eher noch ungewisser als vor einem Jahr. „Das ist die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Éva Fodor, Prorektorin für Gesellschafts- und Geisteswissenschaften an der CEU.

Im April 2017 wurde das „Lex CEU“ genannte Gesetz verabschiedet, das die Existenz der Universität in Budapest gefährdet und gegen das damals 80.000 Menschen auf die Straße gingen. “Lex CEU” betrifft zwar formal alle ausländischen Universitäten, die in Ungarn Studiengänge anbieten. Doch die politische Kampagne der national-konservativen Regierung unter Viktor Orbán richtet sich vor allem gegen die CEU. Und nur ihr Status ist weiterhin unsicher. Die Universität wurde 1991 mit Mitteln des ungarisch-amerikanischen Milliardärs und Philanthropen George Soros gegründet. Die Regierung verunglimpfte auch ihn, mit Plakatkampagnen, die ihm vorwarfen, Millionen Migranten nach Ungarn zu locken.

Die Regierung könnte ihre Entscheidung bis zum Fristende hinausschieben

„Lex CEU“ besagt unter anderem, dass ein internationales Abkommen zwischen dem Herkunftsland der Universität und Ungarn geschlossen werden muss. 26 Jahre lang durfte CEU ohne eine solche Vereinbarung Studiengänge anbieten. Im September 2017 unterschrieb der Staat New York dann das internationale Abkommen, das die ungarische Regierung vorbereitete. Seitdem warten die Unileitung unter Michael Ignatieff, die Professorenschaft und die Studierenden darauf, dass der ungarische Gegenpart ebenfalls unterschreibt, damit die Universität in Budapest bleiben kann. Die Frist zur Unterschrift endet am 1. Januar 2019.

„Es kann gut sein, dass das Parlament darüber erst am 30. Dezember entscheidet“, sagt Zsolt Enyedi, der sich als Prorektor um die ungarischen Belange an der CEU kümmert. Bis 2016 habe die CEU keine Probleme mit der Regierung gehabt, dann erkalteten die Beziehungen. Enyedi sieht das Gesetz als Provokation, die den „politischen Fundamentalismus“ ausdrückt, mit dem die Regierung versucht, ihre „antiwestliche und antiautonome Haltung in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft durchzusetzen.“

Gegründet wurde die Universität nach der Wende mit der Absicht, freie Forschung für die Entwicklung freier Demokratien in postsozialistischen Staaten zu ermöglichen. Stifter George Soros unterstützte seit den späten Siebzigern Demokratisierungsbewegungen in seinem Geburtsland und in anderen sozialistischen Staaten. In Ungarn nahmen 1984 die Open Society Foundations (OSF) ihren Ursprung. Mit der Anti-Soros-Kampagne gerieten auch sie ins Visier der Orbán-Regierung. 2018 beschloss die OSF wegen des „feindlichen Klimas“ aus Budapest nach Berlin umzuziehen.

Die politische Elite projiziert ihr Feindbild auf Soros

Soros und sein Ideal einer offenen Gesellschaft sind seit 2010 zunehmend zum Feind des ungarischen Staates erklärt geworden. Premierminister Viktor Orbán brüstet sich gerne damit, in Ungarn eine „illiberale“ Demokratie geschaffen zu haben. George Soros und die mit ihm in Verbindung gebrachte CEU sind die Angriffsflächen, auf die die politische Elite rund um Orbán ihr Feindbild projizieren. OSF und CEU transportieren die Werte der Toleranz, Geschlechtergleichheit, Antirassismus und kritischer Bildung durch ihre Arbeit – und das überaus erfolgreich.

Die CEU ist in internationalen Rankings die beste ungarische Universität, an keiner anderen mitteleuropäischen Universität werben Forscher so viele Drittmittel ein. Zukünftige Akademiker, Politikerinnen und Aktivisten aus Wladiwostok, Delhi, Sarajewo und Seattle studieren hier zusammen in einem Seminarraum.

Trotz eines turbulenten Jahres scheint die CEU nicht an Attraktivität verloren zu haben. Ähnlich wie in früheren Jahren werden im September gut 600 Studierende einen Master- oder PhD-Studium an der Universität beginnen, in 15 verschiedenen Fachbereichen von Jura bis Mittelalterstudien. „Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich in den nächsten zwei Jahren hier studieren darf“, sagt Benedek Farkas im hellen Studentencafé im Erdgeschoss des modernen Neubaus. Er wird einen Master in Public Affairs beginnen.

20 Millionen Euro hat CEU in den 2016 eröffneten Erweiterungsbau investiert – eine selbstbewusste Investition in die Zukunft. Die moderne Bibliothek und die Dachterrasse, auf der akademische Empfänge abgehalten werden, reflektieren den Status der CEU als amerikanische Privatuniversität. In der Nádor Straße der Pester Altstadt hat auch die Ungarische Akademie der Wissenschaften ihren Sitz. Die CEU sieht sich als festen Bestandteil der mittelosteuropäischen akademischen Gemeinschaft.

Die Existenz der Geschlechterforschung ist bedroht

Doch wegen der autoritären Politik der Regierung Orbán wackelt der Standort in Mittelosteuropa. Ab September 2019 sollen nun drei neue Studiengänge in Wien starten, zwei interdisziplinäre Bachelorprogramme und ein Master in Public Policy. Ein vorgezogener Exodus sei das aber nicht, wird von allen an der CEU betont. „Wir sehen die Krise auch als Chance, darüber nachzudenken, wie Hochschulbildung im 21. Jahrhundert international aussehen kann“, sagt Prorektorin Éva Fodor. Bisher hat sich das Angebot der CEU auf postgraduale Programme beschränkt. Aktuell laufen die Abstimmungsprozesse für die Akkreditierung der neuen Studiengänge in Österreich. Alle bisher eingeschriebenen Studierenden dürfen ihr Studium in Ungarn abschließen.

Neben Benedek Farkas, der einen Master in Public Affairs anfängt, beginnen auch Melody Barron aus Israel und Charlotte Drath aus Deutschland im September ihr Studium an der CEU. Für sie sei die Entscheidung, nach Budapest zu kommen, einfach gewesen, sagt Barron: „Ich wollte raus aus Israel.“ An der CEU wird sie einen Master in Gender Studies machen und freut sich besonders auf Kurse bei Andrea Petö, Expertin in der Geschichte des Holocaust. Die Nachrichten aus Ungarn – derzeit ist dort auch die Existenz der Geschlechterforschung bedroht – haben sie zwar verunsichert. Aber NGOs gehe es auch in Israel nicht besser, sagt Barron. Sie freut sich auf die „internationalen Perspektiven, die ich in den Seminaren der CEU kennenlernen werde“.

Verbindung zum “Rest der Welt”

Charlotte Drath lebt schon seit vier Jahren in Ungarn, sie zog für ein Freiwilligenjahr hierher. Die Demonstrationen für den Fortbestand der CEU waren für sie der Auslöser, sich zu bewerben. „Jetzt erst recht“, sagt sie. Sie erhielt die Zusage für den Master in Internationalen Beziehungen. „Die Eltern meines ungarischen Freundes waren sehr stolz.“ Für sie und auch für Drath repräsentiert die CEU ein solidarisches Ungarn, das offen auf die Welt schaut.

Von Anfang an betonte die Leitung der Universität, dass sie in Budapest bleiben will. Sie hält daran fest. Éva Fodor betont: „Unser intellektueller Bezugspunkt ist Mittelosteuropa.“ Die Verbindung zwischen Wien und Budapest sei zwar historisch gegeben. „Aber unsere Forschung bezieht sich nicht primär auf die Habsburg-Ära, sondern eher auf die Auswirkungen des Staatssozialismus in der Region.“

Wien ist zwar nur 250 Kilometer entfernt, aber für viele Studierende eine ganz andere Welt. Wer aus aus Mittel- und Südosteuropa, Russland oder Zentralasien kommt, kann sich ein Leben in Budapest vielleicht noch leisten, in Wien aber schon weniger. „Ich wäre sehr traurig darüber, wenn die CEU aus Budapest wegzieht“, sagt auch Benedek Farkas. „Die Universität ist unsere Verbindung zum Rest der Welt.“

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