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Robert Habeck und der Wolf

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Der Wolf breitet sich aus und stellt die Grünen vor die Frage: Artenschutz oder eine ökologische Weidetierhaltung? Ein Ortstermin mit Parteichef Habeck.

Balanceakt. Habeck will die Interessen von Tierschützern und Weidetierhaltern wahren.

Eisiger Wind fegt über den kargen Acker, am Waldrand hängen noch Nebelreste. Vom Nachbarfeld riecht es nach Kohl. „Nächstes Mal machen wir so einen Termin im Sommer“, sagt Robert Habeck und stampft mit den Händen in seiner Jeans durch den Matsch. Doch dann hebt ein Schwarm Stare ab. „Ach schön“, sagt Habeck leise und lächelt.

Im brandenburgischen Werneuchen informiert sich der Grünen-Chef am Donnerstagmorgen über die Entwicklung der dortigen Wolfspopulation und welche Probleme für das Zusammenleben mit dem Mensch dadurch entstehen. Keine Stunde vom Zentrum Berlins entfernt, aber eine ganz andere Welt. Also steht er nun hier auf dem kalten Acker vor der Schafherde von Knut Kucznik, friert und lauscht dem Schäfer.

„Ich bin nicht gegen Wölfe, sondern für Schafe“, sagt Kucznik. 450 Tiere besitzt er, die er inzwischen mit Hütehunden und elektrischen Zäunen schützt. Ärger mit dem Wolf hatte er noch nie. Noch. 37 Rudel und ein Pärchen gibt es laut Landwirtschaftministerium in Potsdam wieder in der Mark. Die meisten in der Lausitz, zunehmend breiten sich die Tiere aber auch in der Prignitz und im Berliner Speckgürtel aus. Auch am Flugplatz in Werneuchten wurden unlängst zwei Wölfe gesehen.

2017 töteten Wölfe 394 Nutztiere in Brandenburg

Tierschützer freut die Wiederansiedlung des scheuen und mystischen Tiers, das hierzulande vor rund 100 Jahren ausgerottet wurde. Auf der anderen Seite stehen jedoch die Ängste und Sorgen von Landwirten und Landbevölkerung. Allein 2017 töteten Wölfe nachweislich 394 Nutztiere in Brandenburg. Doch noch dürfen die Tiere nur in absoluten Ausnahmefällen entnommen, also geschossen werden: Wenn sie sich Menschen nähern oder nachweislich zweimal in gesicherten Herden gewildert haben. Für Schäfer und Landwirte ist es kaum nachweisbar, ob es sich dabei wirklich um den selben Wolf handelt. Bislang wurden in Brandenburg lediglich zwei Wölfe zum Abschuss freigegeben.

„Die Biester sind inzwischen überall“, sagt Kucznik, der auch Vorsitzender des Schafzuchtverbandes ist. Anders als viele andere Weidetierhalter in Brandenburg lehnt er die aktive Jagd auf Wölfe oder eine Obergrenze für die Tiere ab. Er fordert mehr Unterstützung beim Wolfsmanagement. Das Land zahle ihm zwar die Beschaffung von Hunden, nicht aber deren Unterhalt. Dafür müsse er mit rund 2500 Euro je Hund pro Jahr rechnen. Auch die neuen höheren Zäune zu verlegen würde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen – entschädigt werde er dafür aber nicht.

Habeck kennt das Thema Wolf – als Buchautor

Habeck hört geduldig zu, nickt oft, wirkt konzentriert und ist bemüht zuvorkommend. Später bei einer Gesprächsrunde im alten Forsthaus schenkt er den Kaffee für die ganze Runde aus, zum Abschied besteht er darauf, das Geschirr in die Küche abzuräumen. Eine Geste, um Normalität herzustellen und Vertrauen zu schaffen. Auch die Kanzlerin soll den Kaffee-Trick regelmäßig anwenden. In Brandenburg können die Grünen Vertrauen gebrauchen. Wie in so vielen ostdeutschen Bundesländern sind sie dort nach wie vor relativ unbedeutend. Doch im nächsten Jahr stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und eben Brandenburg an. Was der aktuelle Höhenflug der Partei wert ist, wird sich dann zeigen.

Hundefreund: Grünen-Chef Robert Habeck.

Eigentlich ist Annalena Baerbock als Identifikationsperson für den Osten an die Parteispitze gewählt worden, doch beim Thema Wolf kennt sich Habeck aus. Bevor er in die Politik ging, schrieb er gemeinsam mit seiner Frau ein Jugendbuch über einen Wolf und zwei Kinder. „Die Konflikte, die ich später selber lösen musste, sind da bereits vorgezeichnet“, sagt Habeck. „Später“ meint seine Zeit als als Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, als er erstmals den Spagat zwischen Tierschutz und den Interessen von Weidetierhaltern meistern musste.

Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie

„Wenn wir als Gesellschaft die Ansiedlung des Wolfes wollen und die Schäfer mit ihm klarkommen sollen, dann müssen wir sie finanziell unterstützen“, sagt Habeck. Für die Anschaffung und den Unterhalt von Hütehunden will er bundesweite Regelungen. Aber auch den unbürokratischeren Abschuss von Wölfen, die sich nicht artgerecht verhalten, hält er für denkbar. Von Obergrenzen oder systematischen Schießungen der Tiere zum Schutz der Landwirte hält er aber nichts. Für ihn ein Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie. „In der Konsequenz hieße das, dass wir alles, was die Ertragsvermehrung reduziert, vernichten müssen. Die Stare fressen auch Samen und das Gras weg. Müssen wir jetzt also die Stare ausrotten?“

Doch Habeck wäre nicht Habeck, wenn er nicht irgendwann auf das Grundsätzliche käme. Der Streit um den Wolf sei ein klassisches Beispiel einer „entweder-oder-Politik“. Die Wolfsdebatte als kleine Schwester der Migrationsdebatte. Es gehe nur ums Gewinnen, nicht um einen Konsens. Der studierte Philosoph will einen anderen Politikstil. „Es wird weder eine Lösung geben, die einen gesellschaftlichen Frieden herstellt, wenn wir den Wolf ausrotten, noch wenn wir naiv nichts ändern.“ Habeck hat sich in Fahrt geredet, im Forsthaus schweigen jetzt alle. „Amen“ sagt Habeck etwas verlegen, dann geht es zurück nach Berlin.

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