Wirtschaft

Nord Stream 2: Mythen und Fakten

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Gegner der Ostseepipeline meinen, die EU mache sich mit ihr von Moskau abhängig. In Russland wird oft behauptet, Deutschland werde ohne das russische Gas aus der Leitung “erfrieren”. Doch was sagen die Fakten?

Die EU-Staaten haben eine Beschlussvorlage gebilligt, mit der die Richtlinien und Verordnungen des Dritten Energiepaktes der EU auch auf Gaspipelines aus Drittländern ausgedehnt werden sollen – das betrifft auch Nord Stream 2. Erwartet wird, dass das Europaparlament die Änderungen im April endgültig beschließt.

Das Dritte Energiepaket sieht die Trennung des Netzbetriebs von Versorgung und Erzeugung vor. Das soll für Wettbewerb sorgen und die Verbraucherrechte schützen. Geplant war, dass die Nord Stream AG die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland nicht nur baut, sondern auch betreibt. Da das Unternehmen dem vom russischen Staat kontrollierten Konzern Gazprom gehört, wird man nun wohl einen unabhängigen Betreiber schaffen müssen.

Kann Nord Stream noch aufgehalten werden?

Die Beschlussvorlage basiert auf einem deutsch-französischen Kompromissvorschlag. Sein Kern besteht darin, dass die Änderungen am Dritten Energiepaket Nord Stream 2 nicht blockieren, auch wenn sie die Bedingungen für Pipelines aus Drittstaaten verschärfen. Die EU-Richtlinien sollen im Fall von Nord Stream 2 aber nur für den Abschnitt gelten, der in den deutschen Hoheitsgewässern der Ostsee verläuft. Denn Brüssel kann seine Vorschriften nicht auf Gebiete außerhalb der EU ausdehnen.

Die deutsche Bundesnetzagentur soll für die Umsetzung der Vorschriften sorgen. Berlin und Moskau werden dazu ein zwischenstaatliches Abkommen schließen. Damit ist die Verlegung der Pipeline durch die Ostsee auf legislativer Ebene in der EU nicht mehr aufzuhalten.

Für einen Stopp könnte noch Donald Trump sorgen. Der US-Präsident hat wiederholt mit Sanktionen gegen westliche Firmen gedroht, die an dem Projekt beteiligt sind. Aus seiner Sicht wird es Deutschland von russischer Energie abhängig machen.

Ein Schiff verlegt in der Ostsee vor der Insel Rügen Rohre für die Pipeline Nord Stream 2

Signifikant größere Liefermengen aus Russland?

Die Gegner von Nord Stream 2 argumentieren vor allem damit, dass die Pipeline die EU von Energieträgern aus Russland und somit von der Politik des Kremls abhängiger machen werde. Sie gehen davon aus, dass die neue Leitung zu einem erheblichen Anstieg der Gazprom-Lieferungen führen wird. Dem ist aber nicht so.

Moskau setzt mit Nord Stream 2 und Turkish Stream, einer Pipeline durch das Schwarze Meer in die Türkei, gleichzeitig zwei große Projekte in Europa um. Die Idee der beiden Pipelines besteht darin, den Gastransit durch die Ukraine zu minimieren oder ganz zu beenden. Gazprom will die Leitungen bis Ende 2019 in Betrieb nehmen, denn dann läuft der zehnjährige Gasvertrag mit Kiew aus.

Es handelt sich somit nicht um zusätzliche Mengen, sondern lediglich um eine Umleitung von bestehenden Volumina auf neue Transportwege. Eine signifikante Erhöhung russischer Gaslieferungen würde erst dann entstehen, wenn größere Mengen weiterhin durch die Ukraine gepumpt würden, was viele in der EU im Interesse der Ukraine fordern.

Mehr Gas allein für Deutschland?

Über Nord Stream 2 soll Gas aus Sibirien direkt nach Deutschland fließen. Doch das Gas ist gar nicht für den deutschen Markt bestimmt. Beweis dafür ist die Europäische Gas-Anbindungsleitung (EUGAL), die an Nord Stream 2 anschließt. Sie wird durch Ostdeutschland verlegt und im Streit über das Gazprom-Projekt oft vergessen.

An der Ostseeküste bei Greifswald kommt Nord Stream 2 an. Die Leitung mit zwei Strängen und einer Gesamtkapazität von 55 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr wird dort mit den beiden Strängen der EUGAL-Pipeline verbunden. Diese Leitung ist auf eine Gesamtkapazität von 51 Milliarden Kubikmeter angelegt und führt in die Tschechische Republik. Somit ist Deutschland für etwa 90 Prozent des Gases aus Nord Stream 2 nur Transitgebiet. Die restlichen vier Milliarden Kubikmeter Gas aus Nord Stream 2 sollen über die NEL-Pipeline in den Gasspeicher im norddeutschen Rehden gelangen.

Die Tschechen benötigen natürlich nicht so viel Gas. Der Großteil fließt weiter zum österreichischen Knotenpunkt Baumgarten. Dort kommt schon heute das russische Gas an, das über die Ukraine geliefert wird. Von Baumgarten wird das Gas vor allem nach Süden gepumpt. Der wichtigste Empfänger des künftigen Gases aus der EUGAL-Pipeline ist somit nicht Deutschland, sondern Österreich und andere Länder Mittel- und Osteuropas, aber vor allem Italien, das nach Deutschland der größte Abnehmer russischen Gases in der EU ist.

Erfrieren die Deutschen ohne Nord Stream 2?

In russischen sozialen Netzwerken heißt es oft, Deutschland werde ohne Nord Stream 2 erfrieren. Dabei wird in Deutschland nur etwa die Hälfte der Wohnungen und Häuser mit Gas beheizt. Die andere Hälfte nutzt Heizöl und weitere Energieträger. Von jenen Wohnungen und Häusern, die mit Gas beheizt werden, nutzt statistisch gesehen weniger als die Hälfte russisches Gas.

Folglich hängt statistisch weniger als ein Viertel der deutschen Wohnungen und Häuser von russischem Gas ab. Daher kann keine Rede davon sein, dass Deutschland ohne Nord Stream 2 erfriert. Außerdem verfügt Deutschland über viele andere Importwege für Erdgas.

Das Gas aus der Nord-Stream-2-Pipeline soll über die Pipeline EUGAL verteilt werden. Die ist aber noch längst nicht fertig.

Sind die Pipelines Ende 2019 betriebsbereit?

Die mangelnde Aufmerksamkeit für die in Bau befindliche EUGAL-Pipeline hat zu der falschen Annahme geführt, Nord Stream 2 werde schon Ende 2019 betriebsbereit sein. Bis dahin wird bestenfalls die Verlegung von Nord Stream 2 durch die Ostsee abgeschlossen sein.

Doch die EUGAL-Pipeline wird zu diesem Zeitpunkt nur zur Hälfte fertig sein. Laut Zeitplan soll der erste Strang in die Tschechische Republik bis Ende 2019 verlegt sein. Das gesamte Projekt soll bis Ende 2020 abgeschlossen sein.

Wenn man berücksichtigt, dass aus technischen Gründen jede neue Pipeline über Monate nur allmählich mit Gas befüllt werden kann, dann wird das System aus Nord Stream 2 und EUGAL frühestens im Frühjahr 2021 in vollem Umfang in Betrieb sein. Bis dahin wird Gazprom noch einen erheblichen Teil seiner Exporte in die EU durch die Ukraine pumpen müssen. Deswegen müssen sich Moskau und Kiew noch vor Ende 2019 auf die Bedingungen für die Fortsetzung des Transits durch die Ukraine einigen.

 

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