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Mehr „Global Health“ in Berlin

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Seit der Ebola-Krise investiert Deutschland in globale Gesundheit. Nun siedelt sich der Wellcome Trust hier an.

Mehr Hilfe. Damit Ebola-Infizierten wie diesem Kind in Gueckedou im Osten von Guinea Ebola künftig besser und schneller geholfen…

Mit 23 Milliarden Britischen Pfund Stiftungsvolumen ist der Wellcome Trust die zweitgrößte private Stiftung der Welt. Seit ihrer Gründung 1936 hat sie ihren Sitz in London und gilt als ur-britische Institution. Jetzt eröffnet sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Büro im Ausland – in Berlin.

Zentrum für globale Gesundheit

„Dieser Schritt ist lange überfällig“, sagt Jeremy Farrar, seit vier Jahren Chef des Trusts. „Wir arbeiten global und mit vielen Partnern und es gibt keinen Grund, warum immer alle nach London kommen sollten.“ Der Impuls kam von Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich, die sich von Farrar seit 2015 in Fragen globaler Gesundheit beraten lässt. Spätestens seit der deutschen Präsidentschaft der G7- und G20-Konferenz bemüht sich die Bundesregierung, die Gesundheitspolitik auf die internationale Agenda zu setzen. Berlin spielt auch eine wichtige Rolle in der Reform der Weltgesundheitsorganisation WHO und investiert in neue Initiativen zur Vorsorge vor Epidemien wie Ebola oder in die Entwicklung neuer Medikamente gegen multiresistente Bakterien. Dass sich die Ausgaben Deutschlands in diesem Bereich in den vergangenen Jahren etwa verdoppelt haben, wird international wahrgenommen, nicht nur vom Wellcome Trust, auch von der Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung, die ebenfalls ein Büro in Berlin plant.

Für Detlev Ganten, den Präsidenten des 2009 gegründeten, jährlich in Berlin stattfindenden World Health Summit, ist der Schritt des Trusts auf den Kontinent ein Zeichen der „Anerkennung, dass Deutschland und Berlin ein wichtiger Partner für Global Health geworden sind“ und ein „Vorbote für weitere Ansiedlungen“. „Eine so wichtige Stiftung wie der Wellcome Trust hier vor Ort in Berlin zu haben, macht Berlin zunehmend zu einem wirklichen Zentrum der globalen Gesundheit“, sagt Ganten.

Rückzug der USA als Chance für Deutschland

Der Brexit, der baldige Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, sei kein Grund für den Schritt des Wellcome Trusts auf das Festland gewesen, versichert Farrar. Allerdings spielt die internationale politische Lage dem internationalen Engagement Deutschlands in der globalen Gesundheitspolitik in die Karten. „Wir gehen gerade durch eine Periode der politischen Unsicherheit“, sagt Farrar, dazu gehöre etwa die „ungewöhnliche Phase“ in der US-amerikanischen und britischen Politik. All das gehe einher mit Kritik an und Zurückhaltung gegenüber den globalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation. „Sicher brauchen diese Institutionen Reform, wie jede Organisation, die 70 Jahre und älter ist“, sagt Farrar, „aber ich glaube daran, dass wir diese Einrichtungen brauchen und dass die Welt durch sie Fortschritte gemacht hat.“

Weder die USA noch Großbritannien seien derzeit verlässliche Partner, meint Detlev Ganten. Zwar seien diese beiden Länder wohl auch in Zukunft die größten Geldgeber für Global-Health-Programme. Aber Deutschlands Rolle sei nicht mehr nur die des drittgrößten, sondern des verlässlichsten Finanziers. „In der aktuellen Koalitionsvereinbarung ist festgeschrieben, dass Deutschland die Stützung der WHO zu einem wichtigen Pfeiler der internationalen Gesundheitspolitik machen will“, sagt Ganten. „Das hat bisher kein Land in dieser Eindeutigkeit in ein Regierungsprogramm geschrieben.“ Bislang habe Deutschland allerdings davor zurückgeschreckt, auch die Führungsrolle zu übernehmen, sagt Farrar: „Aber es gibt Momente, in denen Länder erkennen müssen, dass sie Verantwortung übernehmen müssen.“ In einer Zeit, in der andere Länder nur nach innen sehen, müssten diejenigen, die sich für das globale Miteinander und Wohlergehen engagieren, die Lücke füllen.

Nachholbedarf der deutschen Forschung im Bereich Global Health

Damit meint Farrar nicht nur die politische Ebene, sondern durchaus auch die Forschungslandschaft in Deutschland. „Die deutsche Wissenschaft ist ohne Zweifel stark, aber sie könnte international eine viel größere Rolle spielen als bisher, wenn sie mehr auf internationale Kooperation setzen und konstruktiver agieren würde.“ Dass Deutschland Nachholbedarf hat im Bereich Global Health, sieht auch Illona Kickbusch so, die Leiterin des Global Health Centers am Institute for International and Developmental Studies in Genf. Zwar gebe es viel Grundlagenforschung, auch im Bereich vernachlässigter Infektionskrankheiten. „Aber in Deutschland wird diese Forschung nicht wie in anderen Ländern als Global Health gebündelt“, sagt die ehemalige WHO-Mitarbeiterin. So gebe es etwa noch immer kein Global Health Forschungsprogramm bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und kaum Professuren an den Universitäten für die akademische Forschung und Ausbildung in diesem Bereich. „Diese Forschungsinfrastruktur ist in Deutschland sehr schwach, von einigen zarten Pflänzchen abgesehen, etwa die Forschungsgruppe beim WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“, sagt Kickbusch. Eine der nächsten Gelegenheiten, dem abzuhelfen, sei die deutsche EU-Präsidentschaft 2020. „Die Hoffnung ist, dass Deutschland den politischen Einfluss dann auch nutzt, um mit anderen wichtigen EU-Ländern zusammen den Bereich Global Health als interdisziplinäres Forschungsfeld weiter zu stärken.“

Damit diese Investitionen auch fruchten, sei Zusammenarbeit unverzichtbar, meint Farrar, der den Wellcome Trust nicht mehr nur als Forschungsförderer versteht. „Um Lösungen für die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu entwickeln – Klimawandel, Medikamentenresistenz, Energie- und Nahrungsmittelversorgung -, braucht es Wissenschaft und technische Innovationen, aber vor allem auch ein Verständnis dafür, wie sie in einer Gesellschaft umgesetzt werden können.“ Deshalb mischt sich Farrar ein, berät Politiker wie Merkel und investiert die Stiftungsgelder des Trusts vorwiegend in Projekte, an denen mehrere Partnerorganisationen beteiligt sind. Ein Beispiel dafür sei die Ebola-Krise. Damals fehlten nicht nur Impfstoffe und Medikamente gegen die Viren, auch die Gesundheitssysteme in den Ländern Westafrikas waren zu schwach. „Es braucht beides: Funktionierende Gesundheitssysteme allein können nichts ausrichten, wir brauchen auch die Arzneimittel, um Seuchen bekämpfen zu können“, sagt Farrar.

Entwicklung neuer Impfstoffe als Vorbeugung gegen Pandemien

Eine der Initiativen, die der Wellcome Trust in Kooperation mit der Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung und Ländern wie Deutschland, Norwegen, Japan und Australien nun unterstützt, um solchen Epidemien vorzubeugen, ist „Cepi“ (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations). Damit wird die Entwicklung von Impfstoffen gefördert, die für Pharmafirmen wirtschaftlich uninteressant oder schwierig zu erforschen sind, weil sie entweder zu selten sind oder Patienten in zu armen Ländern betreffen. „Cepi ist ein gutes Beispiel, wie Gesundheits- und Forschungsorganisationen und finanzielle und politische Unterstützer zusammenkommen können, um global relevante Probleme zu lösen“, sagt Farrar. Deutschland unterstützt Cepi mit über 100 Millionen Euro.

Natürlich sind solche Investitionen in globale Gesundheit vor allem unter humanitärer und Entwicklungshilfe zu verbuchen. „In einem reichen Land zu leben, zieht die Verpflichtung nach sich, jene zu unterstützen, denen es weniger gut geht“, sagt Farrar. Andererseits seien diese Ausgaben auch im Interesse Deutschlands. 2003 sei das Land nur knapp einer Sars-Epidemie entgangen. „Solche Viren könnten nicht nur der Gesellschaft in Deutschland, sondern auch der Wirtschaft immens schaden.“ Kein Land der Welt sei angesichts der heutigen Handels- und Verkehrswege noch isoliert. „Alles, was wir tun, damit andere Länder Gesundheitsstrukturen aufbauen, unterstützt unsere eigene Sicherheit“, sagt auch Kickbusch. Außerdem wirke eine Forschungsinfrastruktur im Bereich Global Health als Magnet für internationale Forschungsgelder – ob nun aus öffentlicher Hand oder von Stiftungen wie dem Wellcome Trust oder der Gates Foundation.

Geld vom Trust für deutsche Forscher?

Inwieweit das Berliner Wellcome Trust-Büro Forschern in Deutschland künftig neue Finanzierungsoptionen eröffnet, sei allerdings noch nicht entschieden, sagt Farrar. Zwar können deutsche Institutionen schon jetzt Forschungsmittel beim Wellcome Trust beantragen, sie brauchen dafür aber bislang britische Kollegen als Partner. „Aber wir eröffnen das Büro, um neue Optionen auszuloten, und es könnte gut sein, dass sich deutsche Forscher künftig direkt werden bewerben können“, sagt Farrar.

Mehr Infos zum Wellcome Trust: Hier.

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