Wissen und Technik

In 20 Jahren alle Arten dieser Welt bestimmen

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200 Jahre haben Biologen gebraucht, um etwa 1,8 Millionen Spezies zu identifizieren. Erbgutanalysen sollen die Artbestimmung nun beschleunigen.

Strichcode. Feldwespen-Arten lassen sich mit DNS-Analyse besser erkennen.

Arten zu bestimmen, ist mühsam: Etwa nach feinen Unterschieden an den Beinen winziger Insekten zu suchen, um sie einer Art zuzuordnen oder eine neue zu entdecken. In den vergangenen zwei Jahrhunderten haben Biologen auf diese Weise 1,8 Millionen Arten beschrieben. Doch das sind nur fünf bis zehn Prozent aller existierenden Arten auf der Erde. „Die klassische Vorgehensweise ist heute auch nicht viel schneller als früher“, sagt Stefan Schmidt, Experte für Hautflügler an der Zoologischen Staatssammlung München. Jährlich würden etwa 15 000 bis 18 000 neue Arten klassisch beschrieben. Bei diesem Tempo bräuchte es etwa tausend Jahre, um alle Arten zu beschreiben (Bakterien ausgenommen). Doch die Hoffnung ist, das Ziel schon innerhalb der nächsten 20 Jahre zu erreichen – mit Hilfe einer jungen Technik.

Strichcode im Erbgut

Vor gut 15 Jahren kam der kanadische Insektenforscher Paul Hebert auf die Idee, Arten anhand ihres Erbguts, ihrer DNS, zu identifizieren. Besonders geeignet dafür ist ein Gen, das die Bauanleitung für ein Enzym trägt, Cytochrom-Oxidase 1, kurz COI. Die genaue Funktion des Gens ist nebensächlich. Wichtig ist nur, dass es in (fast) allen Lebewesen vorkommt, weil es überlebenswichtig ist. Und dass sich die Bausteinabfolge des Gens für die Artbestimmung eignet, denn diese Sequenz ist von Art zu Art unterschiedlich, aber bei Individuen einer Art fast immer identisch. Ein idealer genetischer „Barcode“.

Mit Heberts Technik, dem DNS-Barcoding, lässt sich mittlerweile die Artenvielfalt ganzer Biotope bestimmen. Ein berühmtes Beispiel ist das Moorea-Biocode-Projekt, das alle nicht-bakteriellen Arten einer Nachbarinsel Tahitis mit der Methode kartierte.

Mit DNS-Barcoding wird die Artbestimmung objektiver

Ein wichtiger Vorteil der DNS-Analyse ist, das sie die klassische Artbestimmung präziser macht – etwa bei der Einordnung von Feldwespen der Gattung „Polistes“, die Schmidt und Kollegen kürzlich untersuchten. „Obwohl die Tiere sehr groß und auffällig gefärbt sind, ist die Trennung der Arten nach äußeren Merkmalen schwierig, weil sie morphologisch sehr ähnlich sind“, sagt Christian Schmid-Egger, Forscher von der Zoologischen Staatssammlung München. Bisher wurden die Arten vor allem aufgrund von Farbmerkmalen unterschieden, die jedoch innerhalb einer Art stark variieren. Diesmal untersuchten die Forscher 260 Wespen aus Mitteleuropa, dem Mittelmeerraum und Nordafrika sowohl morphologisch als auch per DNS-Barcoding. Alle Arten wurden identifiziert, aber die DNS-Analyse ergab auch, dass ein Exemplar aus Marokko zu einer bisher unbekannten Feldwespenart gehört, Polistes maroccanus. Und die im Süden weit verbreitete Art Polistes gallicus entpuppte sich als drei eigenständige Arten, schreiben die Forscher im Fachblatt „Zoo Keys“.

Ein solcher „integrativer Ansatz“ von morphologischer und genetischer Analyse erhöhe die Zuverlässigkeit in der Taxonomie, sagt Stefan Schmidt. Genetische Analysen seien objektiver als morphologisch basierte Eingruppierungen, weil sich die genetischen Distanzen zwischen Arten und Individuen berechnen lassen. „Verschiedenen Arten sind durchschnittlich durch eine genetische Distanz von zwei Prozent voneinander entfernt“. Manchmal sei es auch weniger.

Ohne die Morphologie geht es nicht

Allein auf DNS-Barcoding könne man sich aber nicht verlassen, obwohl es in „über 95 Prozent der Fälle“ funktioniere, sagt Schmidt. Manchmal kommen innerhalb einer Art auch mehrere genetische Typen vor, so genannte Haplotypen. Oder, anders herum, verschiedene Arten besitzen die gleichen Haplotypen. Das sei etwa bei den Nachkommen von Individuen zweier verschiedener Arten (Hybriden) möglich. Wegen solcher Fehlerquellen müssten DNS-Analysen kritisch überprüft werden – vor allem, wenn es Unstimmigkeiten mit der klassischen Artbestimmung gebe. So deuten Gentests bei der in Deutschland häufigen Wespenart Polistes dominula darauf hin, dass es sich um zwei Arten handelt. Doch morphologische Unterschiede zwischen den genetischen Typen sind nicht zu erkennen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass es sich bei Polistes dominula um mehr als eine Art handelt.

Für die Geschwindigkeit der Bestimmung aller Arten dieser Erde bedeutet das: Auch wenn dieses Vorhaben dank Barcoding keine tausend Jahre mehr beanspruchen wird, werden wohl doch mehr als zwanzig Jahre nötig sein.

“Bio” ist besser? Nicht unbedingt!

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