Wissen und Technik

Fünf Jahre Verbot für Eingriffe in die menschliche Keimbahn

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Forscher appellieren, das Genom von Embryonen weltweit für unantastbar zu erklären. Dauerhaft soll das Verbot aber nicht sein.

Umstrittene Experimente: Der chinesische Biophysiker He Jiankui

„Wir rufen auf zu einem weltweiten Moratorium für alle klinischen Anwendungen von Keimbahneingriffen – dem Verändern vererbbarer DNS (in Spermien, Eizellen oder Embryonen), um genetisch veränderte Kinder zu machen.“ Das – und international wirksame Regularien zur Durchsetzung – fordern Genforscher aus sieben Ländern. Unter ihnen ist Emmanuelle Charpentier vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, die entscheidend an der Erfindung der Gen-Schere „CRISPR/Cas9“ beteiligt war, die solche Eingriffe erst praktikabel gemacht hat.

Kein dauerhaftes Verbot

Gleich im zweiten Satz des Aufrufs, veröffentlicht im Fachblatt „Nature“, machen die Forscher allerdings deutlich, dass sie nicht für ein dauerhaftes Verbot plädieren, sondern für Rahmenbedingungen, in denen die Länder sich „freiwillig verpflichten“, keine Keimbahneingriffe zuzulassen, „sofern nicht bestimmte Bedingungen erfüllt sind“. Nichtsdestotrotz sollten Keimbahneingriffe – „welcher Art auch immer“ – zunächst für einen „festgelegten Zeitraum“ verboten bleiben, etwa fünf Jahre. Das verschaffe Zeit, technische, wissenschaftliche, medizinische, gesellschaftliche, ethische und moralische Aspekte zu diskutieren als auch ein internationales Regelwerk zu etablieren.

Erst danach sollen Nationen Keimbahneingriffe zulassen können, aber nur, wenn drei Bedingungen erfüllt seien: Die Öffentlichkeit müsse rechtzeitig vorher darüber informiert und die Vor- und Nachteile ausgiebig und international diskutiert werden. Dann müsse sorgfältig und transparent sichergestellt werden, dass die Anwendung gerechtfertigt ist. Und im jeweiligen Land müsse ein „breiter gesellschaftlicher Konsens“ über Keimbahneingriffe im Allgemeinen und im konkreten Fall herrschen. Hier sei nicht Einstimmigkeit oder Mehrheit gemeint, betonen die Forscher. Gesellschaftlicher Konsens müsse von den nationalen Behörden so eingeschätzt werden, wie Regierungen die Ansichten ihrer Bürger in anderen komplexen gesellschaftlichen Fragen politisch einschätzen. „Nationen werden sicher unterschiedliche Wege wählen“, heißt es in dem Papier, aber sie sollten mit dem nötigen Respekt gegenüber den Meinungen der übrigen Menschheit agieren, denn diese Frage betreffe die gesamte Spezies.

Internationale Einrichtung soll über die menschliche Keimbahn wachen

Daher sollten die Diskussionen um und Informationen über Keimbahntherapien von einer internationalen Einrichtung koordiniert werden, die etwa bei der Weltgesundheitsorganisation angesiedelt werden könnte, und die sowohl aus Wissenschaftlern als auch Experten für gesellschaftliche und ethische Fragen bestehen müsste. Dabei sei es „essentiell“, Gruppen mit Perspektiven anders als der medizinischen oder wissenschaftlichen an der Diskussion um einen klinischen Einsatz der Keimbahntherapie zu beteiligen: Menschen mit Behinderungen, Patienten und ihre Familien oder auch finanziell benachteiligte und historisch marginalisierte Gruppen der Zivilgesellschaft.

Neu an dem Moratoriumsvorschlag ist nicht der Appell, die Keimbahn vorerst nicht zu verändern. Das hatten Forscher schon 2015 empfohlen, nach dem ersten internationalen „Genome Editing Summit“ in Washington. „Unverantwortlich“ sei es, mit der klinischen Anwendung der Keimbahntherapie voranzuschreiten, bevor Wirkung und Sicherheit geklärt seien und es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gebe. Nun, nach dem zweiten Summit, rufen die Forscher nach verbindlicheren internationalen und nationalen Regularien. Denn offenbar reichten die Appelle nicht, um etwa den Chinesen He Jiankui zu stoppen, der Ende November 2018 mit jener Gen-Schere das Erbgut zweier Kinder veränderte – angeblich um sie ein Leben lang vor HIV-Infektionen zu schützen. Forscher, die von den Experimenten wussten, ergriffen keine Maßnahmen, um ihn zu stoppen.

Medizinische Notwendigkeit von Keimbahneingriffen “extrem selten”

Mitte der 1970er Jahre funktionierte die Selbstregulierung der Forscher noch besser. Damals hatten sich die wenigen Genforscher, die es gab, im kalifornischen Asilomar auf Standards geeinigt – darunter auch der US-Genforscher Paul Berg, der auch den aktuelle Moratoriumsappell unterzeichnet hat. Heute sind es unüberschaubar viele – den Biophysiker He Jiankui kannte kaum jemand.

Sein Versuch, Kinder mit einer Mutation auszustatten, die Schutz vor HIV-Infektion verschaffen soll, zeigt, dass es bei der Keimbahntherapie keineswegs nur um das Korrigieren krankmachender Gendefekte geht. „Extrem selten“ seien die Fälle, in denen Eltern ausschließlich mit einer Keimbahntherapie zu gesunden Kindern kommen können, so die Unterzeichner. He Jiankui heilte mit seinem Eingriff keine Krankheit, sondern versuchte – mit zudem unsicherem Ergebnis – die Anfälligkeit für Aids zu eliminieren.

Der Drang zur “Verbesserung” des Menschen

Wahrscheinlichkeiten für Infektionen minimieren, das Krebsrisiko senken, das Gedächtnis verbessern – vorstellbar ist manche „Verbesserung“ (enhancement) des Genoms. Doch der „Versuch, die Spezies auf Basis unseres derzeitigen Wissensstands zu verändern“, sei Hybris, schreiben die Forscher. Insofern solle das geforderte Regelwerk „besonders abenteuerlichen Plänen für eine Umgestaltung der menschlichen Spezies Hindernisse in den Weg stellen.“

Allerdings schätzt der Rechtsexperte Jochen Taupitz von der Universität Heidelberg, die „politisch-praktische Umsetzung“ dieser Forderungen als „sehr schwierig“ ein. Regierungen in Staaten, in denen es kein rechtlich verbindliches Verbot der Keimbahnintervention gebe, könnten nicht einfach ein Verbot aussprechen.

Wie schwierig internationale Regeln zu etablieren sind, zeigt der schon 2015 ergangene aber kaum gehörte Ruf der Unesco nach einem Moratorium. Auch der Deutsche Ethikrat fordert seit 2017 einen internationalen politischen Prozess für verbindliche Standards für Keimbahneingriffe. Daher sei der aktuelle Appell der Forschergruppe zwar zu begrüßen, doch „ein Moratorium sollte nicht nur eine Vereinbarung sein, auf die klinische Anwendung einer genetischen Keimbahnveränderung erst einmal zu verzichten“, kritisiert Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates. Es müsse auch „Konsequenzen für den Fall vorsehen, dass sich einzelne Wissenschaftler über eine solche Vereinbarung hinwegsetzen.“ Das fehle im aktuellen Vorschlag. (mit smc)

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