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Entführungsopfer Oetker setzt auf den Weißen Ring

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Der Industriellensohn Richard Oetker wurde vor 42 Jahren entführt und erlitt dabei lebensgefährliche Verletzungen. Aktiv beteiligte er sich anschließend an der Jagd nach dem Täter und an dessen Überführung. Heute setzt sich der 67-Jährige für Verbrechensopfer ein.

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Herr Oetker, welche Motive haben Sie dazu bewogen, den Weißen Ring zu unterstützen?

Mein Schicksal. Ich weiß, was es bedeutet, unvorbereitet Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Ich hatte das große Glück, die ganze Familie und einen breiten Freundeskreis hinter mir zu wissen. Und eine große Firma. Die Mehrzahl der Opfer hat das alles nicht. Ich hörte dann vom Weißen Ring. Wenn ich damit Opfer unterstützen kann, dachte ich mir, trete ich ein.

Wird aus Ihrer Sicht in Deutschland genug für Verbrechensopfer getan?

Genug kann es nie sein. Die Opfer leiden lebenslänglich, die Täter gehen nach Verbüßung ihrer Strafe in den Alltag über. Das ist zwar richtig so, aber die Opfer bleiben oft ein Leben lang mit den Folgen des Verbrechens allein. Daher ist es wichtig, dass es solch einen Verein gibt, der sie beschützt und begleitet.

Inwiefern hat es Sie belastet, als Sie als Nebenkläger 1979 im Prozess gegen den Täter aufgetreten sind?

Das war eine besondere Hausforderung. In dem großen Gerichtssaal sammelte sich eine Menge Fotoreporter um mich. Bis dahin hatte ich mich immer verstecken können. Und das machte nur so klick, klick und klick. Auf einmal drehte sich die ganze Gruppe von mir weg. Das war, als der Angeklagte den Saal betrat.

Sie empfanden das als beklemmend?

Besonders in dem Augenblick, als vor mir im Zeugenstand der Nachbau der Kiste aufgestellt war, in der ich als Entführungsopfer gelegen hatte. Eine gespenstische Atmosphäre. Sie müssen sich obendrein wahnsinnig konzentrieren, denn irgendeiner will Sie ja immer aufs Glatteis führen, versucht, Sie in Widersprüche zu verwickeln. Sie kommen sich sehr alleine vor.

Sie sind damals auch zum ersten Mal dem Täter ohne Maske begegnet?

Ja, zu diesem Zeitpunkt war aber noch nicht klar, dass er der Täter war. Das kam erst im Laufe der Verhandlung heraus. Ich habe ihn genau beobachtet. Je länger der Prozess dauerte, umso überzeugter war ich, dass das mein Bewacher gewesen war.

Würden Sie sich einem Täter-Opfer-Gespräch stellen?

Nein, ganz klar. Ich habe relativ jung lernen müssen, wie schnell ein Leben zu Ende sein kann.

Sie hatten Todesangst verspürt…

… ich hätte durch den Stromschlag sterben können. Nachher im Krankenhaus auch noch mal. Daraus habe ich gelernt, wie wertvoll Zeit im Leben ist. Später im Beruf merken Sie, wie wenig Zeit Sie haben. Für Freunde, für Familie. Und ich opfere nicht die gewonnene Zeit für Menschen, die mir was angetan haben. Warum soll ich mich mit jemandem zusammensetzen, der mir die Verletzungen zugefügt hat.

Haben sich Ihre Erfahrungen als Opfer auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Lange Zeit war ich für Personal zuständig. Da fehlte mir am Anfang die Sensibilität für Konfliktpotenzial. Ich konnte nicht nachvollziehen, worüber sich manche Menschen streiten.

Sie plagen so gut wie keine seelischen Folgen. Warum?

Ich bin halt so stabil geboren, und ich bin Optimist. Mir hat geholfen, dass ich während der drei Monate im Krankenhaus fast täglich mit der Polizei über den Fall sprechen musste. Über jedes Detail. Und ich hatte mich auch während der Gefangenschaft darauf konzentriert, mir so viele Dinge zu merken, wie ich nur konnte. Das verhinderte, dass ich in irgendwelche Fantasien abschweifte oder in Selbstmitleid dahindämmerte.

Sie waren aber doch extremen Belastungen ausgesetzt.

Ich konnte erkennen, dass in unserem Körper erheblich stärkere Kräfte vorhanden sind, als wir glauben.

Welche Rolle hat die enge, freundschaftliche Beziehung zu einem der Kriminalbeamten gespielt?

In meinem Leben musste ich mich seelisch nie wieder so ausziehen wie vor ihm. Als er noch auf der Suche nach dem Täter war, sagte er immer, ich dürfte nicht mal Familienmitglieder, keinen Freund, keinen Bekannten ausschließen, niemanden. Die engere Freundschaft entstand nach dem Prozess, in dem der Täter zu 15 Jahren verurteilt wurde, was in der Öffentlichkeit als Fehlurteil dargestellt wurde. Der Ermittler wurde sogar von Kollegen angefeindet.

Wie haben Sie diese Vorwürfe entkräftet?

Das war nur möglich, indem man den Zusammenhang zwischen dem nach wie vor verschwundenen Lösegeld und dem Inhaftierten herstellte. Es hat von 1980 bis 1997 gedauert, als er mit einem Teil der Beute in London gefasst wurde. Am Ende war es nur ein sehr kleiner Kreis, der wusste, dass noch ermittelt wird.

Opfer sind oft einsam. Erging es Ihnen ähnlich?

Mein Gefühl war, dass am 14. Dezember 1976 eine große Hand in mein Leben eingegriffen und mich in ein anderes reingesteckt hat. Denn nach der Entführung verhielten sich mir gegenüber viele Menschen fremd. Offenbar wissen wir nicht, wie wir mit Opfern umgehen sollen. Was machen wir? Wir gehen ihnen aus dem Weg.

Wie lautet Ihre Empfehlung für den Umgang mit Opfern?

Versuchen Sie, herauszufinden, ob das Opfer sprechen möchte. Das Falscheste ist, jemanden in die Isolation zu schicken.

Sie haben aber nach der Gerichtsverhandlung über Jahrzehnte geschwiegen. Warum?

Ganz einfach, ich wollte mein Schicksal nicht als Konsumware verkauft wissen.

Es gab aber doch sogar einen Film über Ihre Entführung?

Mich hat das erste Mal aus der Reserve gelockt, dass der Täter die Filmrechte seines Buchs vermarkten wollte. Ich wollte verhindern, dass er direkt oder indirekt Vorteile aus seiner Tat zog. Juristisch konnten wir es nicht verhindern. An die Erlöse wären wir auch nicht drangekommen, weil er schon eine Stiftung in Liechtenstein eingerichtet hatte.

Wie sah Ihre Gegenmaßnahme aus?

Jemand kam mit der Idee, einen eigenen Film zu drehen, um dem Täter den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wie haben Sie den Film empfunden?

Ich hatte ja keine Ahnung vom Filmgeschäft und war entsetzt, dass da so komische Liebesgeschichten drin waren, die gar nicht stattgefunden haben. Zwischen dem Ermittler und einer Krankenschwester! So ein Blödsinn! Das gehöre einfach zu solchen Filmen dazu, hat man mir erklärt. Aber es spielten fantastische Schauspieler mit, und der Film hatte seine Wirkung.

Nervt Sie nicht, dass Sie auf diese schrecklichen 48 Stunden der Entführung reduziert werden?

Ich bin nicht reduziert worden. Die Mehrzahl hat im Gegenteil einen großen Bogen um mich gemacht und um das Thema. Sogar Familienmitglieder.

Das Interview führte Stefan Schröder.

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