Wissen und Technik

Ein Contra contra Probiotika

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Darmbakterien spielen eine wichtige Rolle für die Gesundheit. Doch die populäre Art, sie zu fördern, ist fragwürdig.

Gute Keime? Dass Bakterien, vor allem im Darm, wichtig sind, ist inzwischen unbestritten. Ob teure Mikroben zum Schlucken…

Sie werden gern als Allheilmittel für den Darm – und inzwischen auch weit jenseits von ihm – propagiert: Probiotika führen bei den nichtmedikamentösen Produkten die Verkaufscharts der Apotheken an. Was sie wirklich bringen, ist, seit es sie gibt, umstritten. Inzwischen häufen sich allerdings auch Befunde, die zeigen, dass diese Bakterienpräparate manchmal sogar kontraproduktiv oder wirklich schädlich sein können.

Milchsäureproduzenten

Seit einiger Zeit erscheinen zunehmend Studien und Sachbücher, die die Lösung wichtiger Gesundheitsprobleme – von der Neigung zu Fettleibigkeit über ein geschwächtes oder fehlgeleitetes Immunsystem bis hin zu Denkleistung und Depressionen – im menschlichen Darm verorten. Genauer gesagt in der Darmflora. Dort leben mehr Bakterien als der menschliche Körper Zellen hat. Sie helfen dort nicht nur, die Nahrung zu verdauen. Die Befunde, dass sie auch sonst von Herz bis Gehirn wichtig für die Gesundheit sind, häufen sich jedenfalls. Aber Stress, Krankheiten und Medikamente können sie schädigen. Bei Bauchgrummeln, Durchfall oder nach Antibiotika-Therapien greifen viele daher zu – oft alles andere als billigen – Probiotika.

Es sind meist Cocktails aus lebensfähigen Mikroorganismen – oftmals Mischungen aus Bakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien. Als Kapsel oder Pulver kann man sie in Drogeriemärkten oder Apotheken kaufen. Die zusätzlichen Bakterien sollen das Immunsystem stärken und die lädierte Darmflora wieder ins Gleichgewicht bringen. “Für Betroffene ist es attraktiv zu denken: Da kann ich selber einfach etwas Gutes für mich tun”, sagt Britta Siegmund, Direktorin der Klinik für Gastroenterologie der Charité.

Spurlos verschwunden im Darm

Apotheker und auch viele Ärzte raten Patienten hier durchaus zu. Und tatsächlich häufen sich Nachweise, dass und wofür Darmbakterien wichtige Rollen spielen, stetig. Doch bei Belegen dafür, dass Probiotika hier hilfreich, unproblematisch und dem Darm oder der Gesamtgesundheit zuträglich sind, sieht es weniger verlässlich aus. Zwar wurden bei vielen Forschungsarbeiten Hinweise darauf gefunden. Doch die Studien sind meist mit wenigen Probanden durchgeführt worden, unterscheiden sich stark im Studiendesign und sind oft von Probiotika-Herstellern finanziert.

Derzeit, sagt Siegmund, mehren sich eher die Befunde, die skeptisch machen. Eine Studie des Immunologen Eran Elinav und seiner Kollegen am israelischen Weizmann-Institut, die im September im Fachjournal “Cell” erschien (PDF), lässt etwa an einer nachhaltigen Wirkung im Darm zweifeln. Die Forscher ließen 15 gesunde Probanden über vier Wochen Probiotika einnehmen und untersuchten anschließend deren Darmflora. Die zugesetzten Bakterien hinterließen bei rund der Hälfte der Getesteten keine Spuren. Trotz ebenfalls geringer Probandenzahl weist das Ergebnis darauf hin, dass einige Menschen schlicht resistent gegen Probiotika sein könnten.

Das Immunsystem zu stimulieren ist nicht immer gut

“Die Darmflora eines jeden Menschen ist einzigartig”, erklärt Andreas Sturm, Leiter der Abteilung für Innere Medizin an den DRK-Kliniken Berlin Westend. Der Spezialist für die Behandlung von Darmerkrankungen sagt: “Das Mikrobiom wird beeinflusst durch unsere Genetik, dadurch, was wir essen und wo wir leben.” Ein Eingriff in die Darmflora sei auch immer ein Eingriff in das Immunsystem. Das kann, muss aber nicht unbedingt positive Folgen haben, auch negative sind möglich. Wirkungen abzuschätzen, sei schwierig, so Sturm.

Eine medizinische Grund für die Einnahme von Probiotika, auf den Mediziner sich bisher einigen konnten, war ihre Gabe nach Antibiotika-Therapie. Denn die Bakterienkiller töten nicht nur die Verursacher von Halsschmerzen und Blutvergiftungen ab, sondern auch Darmbewohner. Auch die renommierte Cochrane Collaboration, ein internationales Netzwerk aus Ärzten und Wissenschaftlern, schloss sich hier an. Sie erklärte 2017 nach Auswertung zahlreicher Studien, es gebe zumindest “moderate” Hinweise einer Wirksamkeit.

Bremsende Probiotika

Eine weitere Untersuchung des Weizmann-Instituts brachte aber ein unerwartetes Ergebnis. 21 Testpersonen wurden, nachdem sie Antibiotika eingenommen hatten, unterschiedlich behandelt: Eine Gruppe erhielt Probiotika, die andere nicht, die dritte bekam ihr eigenes Mikrobiom zurückverpflanzt. Letzteres erzielte die besten Ergebnisse, ist aber vergleichsweise aufwendig. Bei Patienten in der Probiotika-Gruppe besiedelten die Bakterien durchaus den Darm. Überraschenderweise dauerte es jedoch einige Monate länger, bis sich ihre eigene Darmflora wieder aufgebaut hatte, als in der Vergleichsgruppe ganz ohne Therapie. Probiotika verzögerten bei dieser ebenfalls kleinen Probandenzahl also die Regeneration der Darmflora, anstatt sie zu beschleunigen. Sie könnten also “bei bestimmten Leuten eine Verdrängung der natürlichen Besiedlung bewirken”, sagt Sturm.

Und bei schweren Entzündungen könnten zusätzliche Bakterien sogar gefährlich sein. Bei einer Studie in mehreren niederländischen Kliniken waren 2008 15 Patienten, die unter einer akuten Entzündung der Bauchspeicheldrüse litten, nach der Einnahme von zusätzlichen Darmbakterien verstorben – signifikant mehr als in der Vergleichsgruppe. Ursache könnte gewesen sein, dass starke Entzündungen die Darmwand durchlässig werden lassen. Es kann dann passieren, dass Bakterien, die eigentlich die Darmflora unterstützen sollten, in die Blutbahn gelangen, wo sie überhaupt nicht hingehören.

Wo der Nutzen auf der Hand liegt

Ein grundsätzliches Problem liegt darin, dass es sehr schwierig ist, die Wirkung von Probiotika in standardisierten Studiensituationen zu untersuchen. Zudem seien die Zusammensetzung der Bakterien und die Menge “von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich”, erklärt Sturm. Oftmals seien in dem Pulver eines Beutels zu viele Mikroben. Und sehr viele Menschen nehmen offenbar Probiotika ein, obgleich sie keine ernstlichen Beschwerden haben. Ob sie ihnen nützen oder vielleicht sogar schaden, ist kaum zu beurteilen. Denn unter ärztlicher Kontrolle oder gar im Rahmen einer Studie geschieht dies fast nie.

Sicher nachgewiesen ist der Nutzen jedoch für Hersteller und Handel. “Probiotika sind derzeit ein Lifestyle-Präparat”, sagt Charité-Gastroenterologin Siegmund. Und ein Millionengeschäft. Laut Untersuchungen des Marktforschungsunternehmens Insight Health wurden 2017 in deutschen Apotheken allein 140 Millionen Euro mit probiotischen Mitteln umgesetzt, rund 60 Millionen Euro mehr als noch 2015. Firmen, die rechtzeitig investierten, wurden zu Erfolgsgeschichten. Das österreichische Familienunternehmen Allergosan etwa begann vor rund 25 Jahren in einer Grazer Apotheke und entwickelte probiotische Nahrungsergänzungsmittel. Mittlerweile beschäftigt es über hundert Mitarbeiter. Die Verkaufszahlen der “OmniBiotic”-Produkte des Unternehmens stiegen 2015 und 2016 jeweils um rund 50 Prozent. Es wird sogar eine Bakterienmischung vertrieben, die eine Gewichtsabnahme erleichtern soll – dank angeblich schlank machender Mikroben.

Mediziner setzen dem Hype die Fakten der – allerdings eher durchwachsenen – Studienlage entgegen. Britta Siegmund: “Man kann im Moment niemandem zu einer Probiotika-Einnahme raten.”

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