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Die größte Maschine der Welt bekommt ein Update

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Dunkle Materie und dunkle Energie sind noch immer große Rätsel. Um das zu ändern, wird nun der Large Hadron Collider (LHC) aufgerüstet.

Hochleistungselektromagnet für das Update des Teilchenbeschleunigers LHC, genannt HL-LHC, am Cern bei Genf.

Die Physik steckt in der Klemme: Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten ihre Theorie der Materie perfektioniert: das sogenannte Standardmodell. Immer wieder haben Forscher dieses Modell mit hoher Präzision bestätigt. Selbst das von der Theorie vorhergesagte Higgs-Teilchen haben sie nach langer Suche gefunden. Vor sechs Jahren wurde es bei Teilchenkollisionen im Large Hadron Collider bei Genf nachgewiesen. Bei diesen Zusammenstößen in einem Ringtunnel des weltgrößten Teilchenbeschleunigers gut 100 Meter unter der Erde entstehen allerlei Partikel, deren Spuren in haushohen Detektoren verfolgt werden.

Was die Welt zusammenhält… und niemand kennt

Und doch wissen die Physiker, dass ihre Theorie nicht perfekt ist. Das Standardmodell muss überarbeitet werden. Mache sagen sogar: ersetzt. Denn es gibt auch Formen von Materie und Energie, die in diesem Modell keinen Platz haben. Sie werden derzeit noch „Dunkle Materie“ und „Dunkle Energie“ genannt, weil man so wenig über sie weiß.

Daran, dass sie existieren, zweifelt niemand, weil ohne sie Galaxien auseinanderfliegen würden und das Universum nicht expandieren könnte, was es aber tut. Aber niemand weiß, woraus sie bestehen. In keinem Experiment wurden sie je beobachtet. Also suchen die Physiker nach irgendeinem Fehler in ihrer Theorie, um einen Anhaltspunkt dafür zu haben, in welche Richtung sich die Physik weiterentwickeln muss.

„Um es einfacher zu machen: Denken Sie an einen Würfel“, sagt der Physiker Oliver Brüning. Es soll einer sein, bei dem man weiß, dass er gezinkt sein muss. Aber bisher kam beim Würfeln jede Zahl gleich häufig vor. Was macht man? Man würfelt weiter – und hofft, dass bald deutlich wird, welche Zahlen häufiger fallen und welche seltener. So ähnlich sei es mit dem Standardmodell, erläutert Brüning: Man muss im Beschleuniger LHC noch mehr Teilchenkollisionen analysieren und weiter nach Partikeln suchen, die sich anders verhalten, als es das Standardmodell voraussagt.

Derzeit schafft der LHC etwa eine Milliarde Kollisionen pro Sekunde. Das klingt nach häufigem Würfeln – und ist doch erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, wie viele Teilchen die Maschine im Kreis herumschleudert: Schließlich begegnen rund 300 Billionen Protonen mehr als 10.000 Mal pro Sekunde rund 300 Billionen anderen Protonen, die aus der Gegenrichtung kommen. Doch diese Teilchen sind alle positiv geladen und stoßen sich gegenseitig ab. Sie halten also Abstand. Das ist viel Platz, durch den die entgegenkommenden Teilchen schlüpfen können. Das soll sich nun bald ändern.

Am Freitag ist Spatenstich für ein Upgrade des LHC: Nach einigen Umbauten soll er ab 2025 etwa dreimal so viele Kollisionen hinbekommen und zehnmal so viele Daten sammeln wie bisher. Brüning ist stellvertretender Leiter dieses Ausbaus, der „HiLumi“ genannt wird, eine Abkürzung für „High Luminosity“. Er heißt so, weil es in ihm schlicht stärker leuchten wird, wenn mehr Teilchen aufeinanderprallen.

Klaustrophobische Protonen unter Gruppenzwang

Der Physiker Brüning wechselte 1995 vom Deutschen Elektronensynchrotron Desy in Hamburg ans europäische Forschungszentrum Cern, das den LHC betreibt. Er ist dort generell für Zukunftsprojekte zuständig, macht sich also Gedanken darüber, welche Instrumente seine Fachkollegen in einigen Jahren benötigen werden. „Wenn wir irgendwann wissen, in welche Richtung sich die Physik entwickelt, sollten wir vorbereitet sein und die technischen und finanziellen Rahmenbedingungen der benötigten Instrumente kennen“, sagt Brüning. Die Vorlaufzeiten sind in der Teilchenphysik lang: An einigen Komponenten für HiLumi arbeiten die Physiker schon seit mehr als 15 Jahren.

Tief graben. Der „erste Spatenstich“ für das Update des Teilchenbeschleunigers LHC erfolgt am Freitag. Tatsächlich wird dort aber…

Nach dem Spatenstich werden neben zwei der vier Detektoren jeweils 600 Meter lange Zusatztunnel gegraben. Dort sollen zusätzliche Kühlaggregate und Transformatoren untergebracht werden. „Der Ringtunnel ist eigentlich schon voll“, erklärt Brüning. Die neuen Magnete sind nicht nur etwa 50 Prozent stärker als die aktuellen, sie erzeugen auch mehr Wärme und benötigen daher zusätzliche Kühlanlagen. Außerdem muss ihre Stromversorgung sehr präzise gesteuert werden. Daher sollten auch diese Bauteile in den neuen Tunneln untergebracht werden – abgeschirmt von der Strahlung im Haupttunnel.

Die Magnete sollen die Protonenstrahlen stärker bündeln. Die Teilchen fliegen in Paketen von etwa 120 Milliarden. Diese haben die Form einer zehn Zentimeter langen, haarfeinen Nadel. Zwischen den Paketen bleiben einige Meter Abstand. Bevor diese länglichen Teilchenwolken in die Detektoren hineinfliegen, sollen sie von den neuen Magneten auf die Hälfte ihres derzeitigen Durchmessers zusammengedrückt werden. Der Platz zwischen den Protonen soll also schrumpfen, um die Kollisionsrate zu erhöhen. Wenn das geschafft ist, werden zehn Protonennadeln nebeneinander so dick sein wie ein menschliches Haar.

Krabben poolen

In einem weiteren Schritt werden Geräte eingebaut, die „Crab Cavities“ heißen und jedes Protonenpaket mit magnetischer Kraft etwas drehen. Wenn ein Paket von links nach rechts fliegt, dann wird die Spitze nach oben und das Ende nach unten gedrückt, sodass es aussieht, als bewege sich das Paket seitwärts – wie eine Krabbe am Strand. Beim entgegenkommenden Paket macht man es gerade andersherum. Auch dieser Trick soll mehr Protonen aufeinanderprallen lassen. Derzeit treffen die Nadeln nicht frontal aufeinander, weil sie erst im letzten Moment zur Kollision umgelenkt werden. Sie durchstechen sich seitlich. Künftig werden sich beide Teilchenwolken stärker durchdringen, was mehr Protonen die Chance bietet, zu kollidieren.

Als dritte Verbesserung steht schon ein neuer Injektor namens „Linac 4“ bereit, der ab 2020 die Protonenpakete in den Beschleunigerring einspeisen wird. Dann werden die Pakete nicht mehr aus je 120, sondern aus je 240 Milliarden Protonen bestehen. Zusätzlich soll die Zuverlässigkeit der Anlage gesteigert werden, um weniger Zeit mit Wartung zu verbringen und mehr Teilchen kollidieren zu lassen.

Cern ist Innovations-Motor – sagt der Cern-Mitarbeiter

Die Alternative wäre gewesen, die Protonen noch stärker zu beschleunigen und mit noch mehr Energie aufeinanderprallen zu lassen. Doch es fehle ein Plan, das bezahlbar hinzubekommen, sagt Brüning. Das Upgrade zur Verzehnfachung der Datenmenge wird etwa 800 Millionen Euro kosten. Dazu gehört auch ein Ausbau der Computer, denn die Detektoren liefern schon heute etwa 50 Millionen Gigabyte an Messdaten im Jahr. Die Daten werden zur Analyse an Forschungszentren in aller Welt verteilt. Brüning sieht das Cern daher als Vorreiter der Computertechnik: „Das Cloud Computing wurde zu einem Großteil durch unsere physikalischen Experimente vorangetrieben“, sagt er. Für „HiLumi“ müssen sowohl Netze als auch Computer schneller werden – und natürlich sind größere Datenspeicher nötig.

Der LHC läuft seit etwa zehn Jahren, nach dem Umbau sind weitere zehn Jahre geplant. Wenn man in dieser Zeit nichts finden sollte, das als Anhaltspunkt für eine neue Physik dienen kann, wird es eng – nicht für die Teilchen, sondern für die Physiker. Es wäre so, als hätte man tausendmal gewürfelt und könnte immer noch nicht nachweisen, dass der Würfel gezinkt ist. „Wenn man in zehn weiteren Jahren den Schlüssel zur neuen Physik nicht findet“, sagt Brüning, „muss man sich grundsätzlich Gedanken machen.“

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