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Britisches Parlament sucht Ausweg aus der Brexit-Sackgasse

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Das Unterhaus wird an diesem Mittwoch über Alternativen zum Brexit-Deal beraten. Fraglich ist, ob das Parlament komplett die Kontrolle übernimmt. Die Premierministerin ist geschwächt wie nie.

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London (dpa) – Kurz vor Ablauf der Frist für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU auf Grundlage des Brexit-Deals hat das Unterhaus teilweise das Ruder übernommen.

Gegen den Willen der Regierung wollen die Abgeordneten im Unterhaus in London jetzt auf eigene Faust eine Alternative für das bereits zwei Mal abgelehnte Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May suchen.

Dafür hatten die Abgeordneten am späten Montagabend die Regel außer Kraft gesetzt, wonach nur die Regierung die Tagesordnung im Parlament bestimmt. Sie sicherten sich diesen Mittwoch für eine Debatte und Abstimmungen über einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse. Geplant sind sogenannte «indicative votes» – richtungsweisende Abstimmungen, mit denen ausgelotet werden soll, für welche Alternative es eine Mehrheit gibt.

Unklar war aber zunächst, über welche Optionen die Abgeordneten am Mittwoch entscheiden sollen und in welchem Modus abgestimmt wird. Es wird bereits spekuliert, die Abgeordneten könnten sich noch weitere Tage im Parlamentskalender sichern.

Als mögliche Optionen werden etwa verschiedene Varianten einer engeren Anbindung an die Europäische Union oder ein zweites Referendum gehandelt. Aber sogar eine Abkehr vom Brexit durch Zurückziehen der Austrittserklärung ist im Gespräch. Ein Votum für eine dieser Optionen wäre rechtlich zwar nicht bindend. Es würde aber einen Hinweis darauf geben, wofür es eine Mehrheit im Parlament geben könnte.

Mehrere Staatssekretäre legten am Montag ihre Ämter nieder, um gegen die Regierung votieren zu können. Insgesamt hatten etwa 30 Abgeordnete der regierenden Konservativen für den Vorschlag gestimmt. Der zurückgetretene Wirtschaftsstaatssekretär Richard Harrington warf der Regierung vor, sie spiele «Roulette mit dem Leben von Menschen und deren Existenzgrundlagen» in Großbritannien.

Brexit-Hardliner Andrew Bridgen hält inzwischen eine Neuwahl im Sommer für wahrscheinlich. May müsse als Premierministerin zurücktreten, sagte der Tory-Politiker in einem Gespräch mit dem Sender Sky News.

Ursprünglich sollte Großbritannien schon am kommenden Freitag die EU verlassen. Brüssel bot London kürzlich eine Verschiebung des Brexits bis zum 22. Mai an. Bedingung dafür ist allerdings, dass das Unterhaus in dieser Woche dem Austrittsvertrag zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April. In dem Fall soll London vor diesem Termin sagen, wie es weitergehen soll.

Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, bezeichnete das Ergebnis via Twitter als «weitere demütigende Niederlage für die Premierministerin, die komplett die Kontrolle über ihre Partei, ihr Kabinett und den Brexit-Prozess verloren hat».

Guy Verhofstadt, der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, erklärte, dies sei eine Chance, um parteiübergreifend für eine erweiterte politische Erklärung (zum Brexit-Deal) und eine engere künftige Beziehung (zur EU) zusammenzuarbeiten.

Die Brexit-Hardliner im Parlament in London dagegen schäumten vor Wut. «Das ist eine konstitutionelle Revolution und das Haus wird es bereuen», rief der Brexit-Veteran Bill Cash. Parlamentspräsident John Bercow hatte Mühe, die Ordnung im Plenarsaal aufrechtzuerhalten, und zog am Ende die Wut der Brexiteers auf sich.

May hatte zuvor eingestanden, dass sich noch immer keine Mehrheit für ihr Brexit-Abkommen abzeichnet. Daher wolle sie vorerst nicht erneut über das Vertragspaket zum EU-Austritt abstimmen lassen, sagte sie am Montagnachmittag vor dem Unterhaus. Zwei Mal ist die Regierungschefin bereits krachend mit dem Deal gescheitert.

Die Regierung sei nicht gebunden, sollten sich die Abgeordneten auf eine Alternative zum Brexit-Abkommen festlegen, stellte May klar. Die automatische Folge einer Ablehnung ihres Deals sei immer noch ein Austritt ohne Abkommen. Zugleich beschwichtigte sie aber: «Ein No Deal wird nicht passieren, solange das Unterhaus dem nicht zustimmt.»

Es dürfe aber auch keine Abkehr vom Brexit geben, sagte May. Sie warnte zudem vor einem «langsamen» EU-Austritt mit einer Verlängerung der Frist über den 22. Mai hinaus, womit eine Teilnahme an der Europawahl notwendig wäre, die vom 23. bis 26. Mai stattfindet. Mays Gegner im Parlament kündigten an, der Regierung notfalls per Gesetzgebung ihren Willen aufzuzwingen.

Die Regierung in London will sich noch diese Woche vom Parlament den Segen für eine Rechtsverordnung geben lassen, mit der das bisherige Austrittsdatum 29. März auch nach nationalem Recht verschoben werden soll. Sollte die Verordnung nicht gebilligt werden, entstehe zwar Verwirrung und schädigende Unsicherheit, an der Verschiebung des Brexit-Datums ändere sich aber nichts, sagte May.

Sollte Großbritannien ohne Abkommen aus der Staatengemeinschaft ausscheiden, wird mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche gerechnet. Auch die deutsche Autoindustrie wäre davon betroffen. Denn rund 20 Prozent der deutschen Autoexporte gehen nach Großbritannien. Bei einem No-Deal-Brexit wären nach Angaben der Unternehmensberatung Deloitte
etwa 18.000 Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie gefährdet. Fast jeder dritte Neuwagen auf der Insel kommt aus Deutschland.

Der Brexit hat auch die Kauflaune der Deutschen etwas gedämpft. «Die Verunsicherungen durch den ungeklärten Brexit und die nach wie vor ungelösten Handelskonflikte scheinen in diesem Monat verstärkt bei den Verbrauchern angekommen zu sein», berichtete die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Sie prognostiziert für April einen Rückgang des Konsumklimaindex im Vergleich zum Vormonat um 0,3 Punkte auf 10,4 Punkte.

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